Im Kalten Krieg wirft die Presse Athletinnen vor, dass sie "nicht weiblich genug" aussehen. © Wikimedia

„Weib­lich genug“? 

Frauen­sport im Kalten Krieg

Die intergeschlechtliche Leichtathletin Caster Semenya kämpft seit Jahren dafür, dass sie weiter an Frauen-Wettbewerben teilnehmen darf. Im Kalten Krieg war es Politik des ,Westens’, Intersportlerinnen aus dem ,Osten’ auszuschließen: 1967 trifft es eine Olympiasiegerin.

Budapest, 1966: Als Teilnehmerin an den Leichtathletik-Weltmeisterschaften unterzieht sich die polnische Sportlerin Ewa Kłobukowska einem „Geschlechts-Test“. Damit sie teilnehmen darf, muss sie nackt vor eine Kommission aus Ärzten treten. Diese entscheiden, ob ihr Körper „weiblich genug“ für den Frauen-Wettbewerb ist. Ewa lässt die Erniedrigung über sich ergehen und besteht den Test. Im 100-Meter-Lauf der Frauen gewinnt sie Gold. 

Ihren Sieg verbucht die sowjetische Führung in Moskau für sich: Im Wettstreit gegen die USA soll der Sieg einer Ostblock-Sportlerin auf der Sprint-Strecke auch die Überlegenheit des politischen Systems der Sowjetunion beweisen. Denn Sport ist nicht erst seit der Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar politisch: Im Kalten Krieg zwischen der Sowjetunion und den USA gelten Siege bei Sportwettkämpfen auch als Sieg für das eigene Land.

Spitzensport als Propagandainstrument

Beide Seiten rüsten ihr Militär mit modernen Waffen auf, um den politischen Gegner einzuschüchtern. Als ideale Ordnung gilt in der Sowjetunion der Kommunismus, in den USA und Westeuropa dagegen der Kapitalismus. Beide Seiten versuchen, ihre jeweilige Bevölkerung von der Überlegenheit des eigenen Systems zu überzeugen. Dass die eigene Seite in internationalen Sportwettkämpfen besser abschneidet als der Gegner, wird zu einem wichtigen Propaganda-Instrument. 

Ewa Kłobukowska bei einem Wettbewerb im Jahr 1964. © Wikimedia
Sowjetische Sportlerinnen sind in Leichtathletikbewerben der Frauen oft am besten. Das wird in den USA und Westeuropa gar nicht gern gesehen: Westliche Sportjournalisten attackieren die Siegerinnen aus dem Ostblock mit dem Vorwurf, dass sie „eigentlich gar keine Frau[en]“ sind. Die westliche Presse unterstellt der Sowjetunion, dass dort männliche Sportler mit ärztlicher Hilfe in Frauen verwandelt werden, um die Frauenbewerbe zu gewinnen. Als Reaktion auf die Gerüchte werden strenge „Geschlechtstests“ gefordert. 
Damit sollen Männer identifiziert werden, die sich angeblich als Frauensportlerinnen ausgeben. 

Auch Ewa Kłobukowska muss für den Leichtathletik-Europacup 1967 erneut einen „Geschlechtstest“ über sich ergehen lassen. Diesmal einen Gentest im Labor. Das Ergebnis kommt völlig unerwartet: Der Labortest zeigt, dass die Sportlerin genetisch weder eindeutig Frau noch Mann ist. Sie ist intergeschlechtlich. Die Presse macht aus der Geschichte einen Skandal. Sie titelt: „Eva ist ein Mann!“ Hämische Schlagzeilen unterstellen ihr, dass sie aus Gier betrogen hat. Der Labortest beendet ihre Karriere. Ewa wird von allen internationalen Sportbewerben ausgeschlossen. Ihre Medaillen werden aberkannt, ihre Rekorde gelöscht. 

Zeitstrahl 1966 © wasbishergeschah.at