Im Vordergrund Felder und kleine Hütten. Eine Gruppe von Personen steht auf einem Feldweg. Im Hintergrund ist eine Fabrik mit hohem Schornstein zu sehen. © Wikimedia

Urban Gardening 

im 19. Jahrhundert

Heute ist Urban Gardening ein hipper Zeitvertreib. Früher war das "Garteln" für viele notwendig, um zu überleben.

September 1880 in der belgischen Kleinstadt Oudenaarde. In den Gärten und auf den Feldern innerhalb der Stadtmauer arbeiten Menschen bis in die Dämmerung hinein. Sie graben tief in die Erde, als Werkzeuge dienen oft die bloßen Hände. Keine Kartoffel darf übersehen werden.

Die Erntezeit ist arbeitsintensiv. Die ganze Familie hilft, damit niemand Hunger leiden muss. Die ertragreichen Kartoffeln eignen sich hervorragend für die kleinen Anbauflächen zwischen den Häusern der dicht besiedelten Stadt. Die Einwohner:innen von Oudenaarde bauen auch noch andere Gemüsesorten an, um sich über die Saison hinweg möglichst abwechslungsreich ernähren zu können. Das ist nicht nur in Oudenaarde so. Aber im Archiv dieser Stadt gibt es Unterlagen, die über „Urban Gardening“ im 19. Jahrhundert ungewöhnlich detailliert Auskunft geben.

Mit allem können sich Städte wie Oudenaarde damals nicht versorgen. Der Getreideanbau rentiert sich auf den kleinen Flächen nicht. Er bringt zu wenig Ernte. Was innerhalb der Stadtmauern von Oudenaarde angebaut wird, ist eine lebenswichtige Frage.

Erdäpfelanbau auf den Feldern der Stadt ist beliebt, weil er viel Ertrag bringt. © ÖNB

Urban Gardening – auch damals ein Privileg

Mitte des 19. Jahrhunderts ist es nicht selbstverständlich, ausreichend mit Nahrung versorgt zu sein. Ein eigener Gemüsegarten ist da viel wert. Nur ein kleiner Teil der Menschen besitzt solche Anbauflächen. Für die meisten ist es eine Nebenbeschäftigung, wenn sie ihre Gärten und kleinen Äcker bewirtschaften. Sie sind nicht „hauptberuflich“ Bauern.

Im Alltag bedeutet das mehr Arbeitsbelastung. Die Besitzer:innen von Gärten können sich dafür mit wichtigen Nahrungsmitteln selbst versorgen. Das ist ein enormer Vorteil: Die Ausgaben für Ernährung verschlingen damals einen viel größeren Teil des Haushaltsbudgets als heute. Wer selbst etwas anbauen kann, dem bleibt also mehr Geld übrig.

Überschüssige Lebensmittel werden am Markt verkauft. © ÖNB

Viele Oudenaarder:innen bauen mehr Gemüse an als sie selbst benötigen. Den überschüssigen Teil können sie verkaufen. Das bringt zusätzliches Einkommen und stellt zugleich die Versorgung derjenigen sicher, die kein Land besitzen.

Heute ist Urban Gardening keine lebensnotwendige Tätigkeit mehr, sondern eine Freizeitbeschäftigung. Möglicherweise gewinnt der Gemüsegarten aber wieder an Bedeutung: Klimakrise, Inflation und Krieg stärken den Wunsch nach einem möglichst autarken Leben.

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