Eine große Gruppe von dicht gedrängten Menschen. Alle blicken ernst. Ganz vorne ein dünner alter Mann mit verschlissener Kleidung. Er fährt gerade mit der Hand in eine Schüssel. Die Personen neben ihm schauen ihm genau zu.  © Wien Museum CC BY 4.0 Birgit und Peter Kainz, Wien im Jahre 1918, Josef Engelhart, 1918

Eis­kal­te Woh­nun­gen und nichts zu es­sen.

Der Win­ter 1918/19 

Der Erste Weltkrieg ist zu Ende, aber die Versorgung mit Energie und Lebensmitteln ist zusammengebrochen. 

Dezember 1918: Marie Toth ist 14 Jahre alt. Sie lebt in Leobersdorf, einem Industrieort im südlichen Niederösterreich. Über diesen Winter schreibt sie später: „Den werde ich nie vergessen”. Zu Weihnachten ist ein Tiefpunkt erreicht: „Es gab kein Petroleum, keine Kohle, keine Lebensmittel – es gab überhaupt nichts mehr. An Heilig Abend saßen wir in der finsteren kalten Wohnung und weinten.“ 

Marie Toth erlebt den Winter 1918/19 mit. © Doku Lebensgeschichten, Universität Wien, Marie Toth (Holland)

Die Katastrophe bahnt sich schon lange an 

Im Ersten Weltkrieg sind Rohstoffe und Lebensmittel schnell knapp geworden. Die Regierung steckt so viel wie nur möglich in ihre militärischen Ziele. Sie hat den Krieg mutwillig begonnen und will ihn trotz schrecklicher Verluste gewinnen. Das Habsburgerreich kann auch nicht im Ausland kaufen, was im Inland fehlt, denn die gegnerischen Staaten blockieren den Handel. Das verschärft die Situation zusätzlich. Im Herbst 1918 ist das Habsburgerreich militärisch geschlagen und zerbricht. 

Österreich bezieht aber einen großen Teil der Kohle aus Regionen, die nun im nördlichen Nachbarstaat Tschechoslowakei liegen. Kohle wird in der Industrie benötigt, um Öfen und Maschinen anzutreiben. Das wichtigste überregionale Transportmittel ist damals die Eisenbahn, aber Dampflokomotiven fahren nicht ohne Kohle. In Kraftwerken erzeugt sie wiederum Strom und Gas. Diese Kraftwerke müssen nun zeitweise abgedreht werden. All das trifft eine Wirtschaft, die bereits am Boden liegt. 

Die Lage der Menschen ist verzweifelt 

Ohne Kohle haben die Menschen außerdem kein Brennmaterial, um zuhause einheizen zu können. In Wien rücken sie daher scharenweise in den Wienerwald aus und fällen Bäume. Erlaubt ist das nicht, aber die Behörden lassen es zu, denn sonst würden die Menschen erfrieren. Selbst Alte und Kinder schleppen so viele Äste in die Stadt zurück, wie sie tragen können. Doch nicht alle können Holz aus einem naheliegenden Wald holen. 

Im Winter 1918/19 war wegen des Kohlemangels jeder Sack Kohle wertvoll. © Wien Museum CC BY 4.0 Birgit und Peter Kainz, Städtische Kohlenabgabestelle V. Bz./Matzleinsdorfer Bahnhof, Kriegswinter 1916/17, Moritz Ledell, 1917

Auch einen großen Teil der Nahrungsmittel hat die Hauptstadt Wien immer aus Gebieten erhalten, die jetzt Ausland sind. Sie liefern nicht mehr. Die Zustände sind zum Verzweifeln, Krankheiten finden in der geschwächten Bevölkerung ein leichtes Opfer. Alleine an der gefürchteten Spanischen Grippe sterben Tausende. Dem langen Krieg folgt daher ein harter Nachkriegswinter. 

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