Schuster bei der Arbeit in einer mit Schuhen behängten Werkstätte. © Wikimedia

Der Aufstand

der Wiener Schuster­gesellen 

Vor 300 Jahren streiken Schustergesellen in Wien. Sie wollen ihren Arbeitsplatz frei wechseln dürfen. Die kaiserliche Regierung antwortet mit Hinrichtungen.

Wien, 31. Oktober 1722: Auf dem Hohen Markt vor der „Schranne“, dem Gerichtsgebäude und Gefängnis der Stadt, steht ein Galgen. Tausende Neugierige strömen herbei. Sie wollen dabei sein, wenn zwei Schustergesellen gehenkt werden. Die beiden haben als „Verächter der landesfürstlichen Befehle, und Stöhrer der allgemeinen Ruhe“ die Todesstrafe ausgefasst. Fünf weitere Gesellen müssen der Hinrichtung beiwohnen. Die Regierung will Streiks mit allen Mitteln verhindern.
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts lehnen sich Schustergesellen gegen die ungerechte Behandlung durch ihre Meister auf. © Wikimedia

Nicht erst im Zeitalter der Fabrik beginnen Menschen zu protestieren, indem sie gemeinsam die Arbeit niederlegen. Zum Beispiel streiken schon 1345 in Tirol Salinenarbeiter, weil das Salzamt ihre Löhne nicht bezahlt.

„…gebts denen Gerechtigkeit, die da unterdrückt seyn!“

In Wien protestieren die Schustergesellen 1712 gegen den neu eingeführten „Abschiedzettel“. Das ist eine schriftliche Bestätigung, die der Geselle vom Meister erhalten muss, damit er den Arbeitsplatz wechseln darf. Der Obrigkeit gelingt es nur mit Gewalt, den Streik zu beenden.

Zehn Jahre später streiken die Gesellen wieder für ihr Recht, den Arbeitsplatz frei wechseln zu dürfen. „Menschen woellen wir seyn“, schreibt ein Geselle, „nit kuschen auf frembden Befehl“.

Den Höhepunkt erreicht die Streikbewegung im Oktober 1722: Die Gesellen stürmen die Werkstätten von verrufenen Meistern und setzen sie in Brand. Die ansässige Bevölkerung solidarisiert sich mit den Aufständischen. Als die Rumorwache, eine kaiserliche Polizeieinheit, eingreift, explodiert die Situation. Die berittenen Polizisten veranstalten regelrechte Menschenjagden durch die Straßen und töten mehrere Personen. Die Demonstranten wehren sich mit Steinen und Schusswaffen.

Todesstrafe auf Streik

Der Kaiser verhängt das Standrecht gegen die streikenden Gesellen. Schuhmachergesellen, die sich zur Beratung treffen, droht nun die Todesstrafe. Auch alle, die den Streik unterstützen, müssen mit schwersten Strafen rechnen: Wenn ein Wirt die „höchst sträflichen Zusammenrottungen“ in seinem Lokal nicht sofort der Behörde anzeigt, wird er zum Kriegsdienst auf Galeerenschiffen verurteilt. Trotzdem geht der Streik weiter.

Wenn ein Wirt die Streikbewegung unterstützt, droht ihm der Kriegsdienst auf Galeerenschiffen. © ÖNB Bildarchiv

Erst die Hinrichtungen brechen den Aufstand. Die Gesellen kehren zu ihrer Arbeit zurück, ein Teil verlässt Wien.  

Die Obrigkeit will weitere Krawalle verhindern. Deshalb erlaubt der Kaiser, dass Schustergesellen unter bestimmten Voraussetzungen selbstständig ein Gewerbe betreiben dürfen. Andererseits dürfen sich die Gesellen nicht mehr in „Bruderschaften“ organisieren. Auch sollen sie länger bei einem Meister bleiben: Die Wanderschaft begünstigt nämlich, dass sich Gesellen aus verschiedenen Regionen zusammenschließen.

Vor der „Schranne“, dem Gerichtsgebäude und Gefängnis der Stadt, werden zwei Schustergesellen 1722 gehenkt. © © ÖNB Bildarchiv
Zeitstrahl 1722 © wasbishergeschah.at