6:50 Uhr. Eine Arbeiterin hastet zur Zigarrenfabrik. Ihre Kinder hat sie eben in die Schule gebracht, jetzt muss es schnell gehen. Um punkt 7 Uhr wird das Fabriktor zugesperrt. Schafft es eine Arbeiterin nicht rechtzeitig hinein, verliert sie das Einkommen eines halben Tages:
Ab 1869 arbeiten drei Generationen von Frauen in der Halleiner Zigarren- und Tabakfabrik. Mit 600 Arbeiterinnen ist sie die einzige große Fabrik in Salzburg, in der Frauen tätig sind.
Die Arbeiterinnen stehen unter Zeitdruck. 600 Stück Zigarren müssen sie am Tag drehen. Die Arbeitslast ist hoch. Trotzdem gehen die „Tschikweiber“ gerne zur Arbeit. Sie sind in der Gewerkschaft organisiert und können Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen durchsetzen. Deshalb erhalten sie mehr Lohn als ihre männlichen Kollegen in der Zellulosefabrik im selben Ort. Sie bekommen Pension und medizinische Versorgung am Arbeitsplatz. Der Betrieb stellt auch Arbeiterwohnungen zur Verfügung. Eines aber fehlt fast vollständig: öffentliche Kinderbetreuung.
Lieber kein Kind bekommen als so viele wie ihre Mutter, meint eine Arbeiterin: „Sieben Kinder! Na! Na! Und so a Not ghobt!“ Die jungen Arbeiterinnen wissen, was es heißt, viele Kinder großzuziehen und zu ernähren. Um eine Schwangerschaft zu verhindern, verzichten einige Frauen ganz auf Sex. Denn Verhütungsmittel sind noch nicht weit verbreitet.
Die meisten bekommen trotzdem Kinder. Unterstützt werden sie nicht – weder von ihrem Mann noch vom Staat. Während der Arbeitszeit können sie aber auch nicht auf die Kinder aufpassen. Eine Arbeiterin erzählt, dass sie ihre Kinder bis zum dritten Lebensjahr bei Pflegeeltern unterbringen muss.
Mit oder ohne Kinder: Die Arbeit hat kein Ende. 44 Stunden arbeiten die „Tschikweiber“ pro Woche in der Fabrik. Die restliche Zeit ist streng getaktet: Vorkochen, in der Mittagspause nach Hause laufen. Essen wärmen, abwaschen, zurück in die Fabrik. Am Abend putzen sie. Die Wäsche waschen sie, wenn mehr Zeit ist. Damals ist das noch mühsame Handarbeit. Den Haushalt zu besorgen ist anstrengend und unbezahlt. Viele Frauen arbeiten deshalb lieber in der Zigarrenfabrik: „I hob mi wirklich am Sunntog oiwei wieder gfreit am Montog.“
Ingrid Bauer, „Tschikweiber haum's uns g'nennt…“ Frauenleben und Frauenarbeit an der „Peripherie“: Die Halleiner Zigarrenfabriksarbeiterinnen 1869 bis 1940, Europaverlag: Wien 1988.