Eine Frau bedient eine Nähmaschine auf einem Schreibtisch in einer Näherei, ein Mann beugt sich über sie und sieht ihr bei der Arbeit zu. Rundherum Kleiderständer, im Hintergrund eine zweite Frau an einem Schreibtisch.  © ÖNB Bildarchiv

Be­rufs­ein­stieg 1946:

Hun­gern, Im­pro­vi­sie­ren und Frie­ren

Ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs erreicht die Versorgung in Österreich einen Tiefstand. Es gibt wenig Essen, kaum Kohle und Strom. Die Werkstätten sind kalt, die Arbeitsbedingungen hart.

Spätherbst 1946 in Graz: Erika Schleich schiebt mit einem zweiten Lehrmädchen einen Leiterwagen durch die Stadt. Darauf transportieren sie große Kohlesäcke, die sie am Bahnhof geholt haben. Sie genieren sich, aber zumindest kann die Werkstätte, in der sie arbeiten, endlich geheizt werden.

Seit Kriegsende hat sich die Versorgung nicht verbessert. Im Gegenteil. 1945 haben die Menschen noch 1.300 bis 1.500 Kalorien zu sich genommen, jetzt nur mehr 950 Kalorien. Die UNO stellt fest: „Das österreichische Volk zählt zu jenen Völkern der Welt, die dem Hungertod am nächsten sind.“ Brot, Eier, Zucker, aber auch Leder, Tabak und Seife werden nur in kleinen Rationen ausgegeben. Das gilt auch für Brennstoffe. Obwohl der Winter eisige Temperaturen bringt, heizen die Menschen nur zeitweise. Auch in den Betrieben und Werkstätten gibt es nicht genügend Kohle zum Heizen. Die Menschen frieren in der Arbeit. 

US-amerikanische Hilfsorganisationen schicken sogenannte CARE-Pakete nach Österreich, um die Hungersnot zu lindern. © ÖNB Bildarchiv

Jonglieren mit knappen Gütern: Brot, Kohle, Strom

Erika beginnt 1946 eine Lehre als Schneiderin. Sie bügelt, räumt auf und ist dafür zuständig, die Jausenbrote zu holen. Das ist ein „Jonglieren zwischen den vorhandenen Lebensmittelmarken und den Angeboten in den Geschäften“. Um den Hunger zu bekämpfen, organisiert die Landesregierung eine Essensausgabe für „Jungen und Mädchen der verschiedensten Berufe“. Erika erinnert sich noch gut an das warme Gulasch und den Linseneintopf.

„Es kam der Herbst und mit ihm das Problem, die Werkstatt und den Probiersalon heizen zu müssen.“

Erika Schleich erlebt die Nachkriegszeit als Lehrmädchen. © Verein „Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen“ (Hg.), Kinder - Küche – Karriere. Acht Frauen erzählen (= Damit es nicht verlorengeht, Bd. 67), Wien/Köln/Weimar 2013.

Erika ist für das Heizen verantwortlich, doch Kohle ist nicht leicht aufzutreiben. Zum Glück kommt eines der Lehrmädchen aus Köflach, wo es Kohlebergbau gibt. Sie kann einige Säcke Braunkohle beschaffen. Erika lernt schnell: „Beim Zerhacken der großen Kohlebrocken war ich Weltmeister.“ Trotzdem wird es in den Räumen nicht richtig warm. Deshalb besucht Erika in der Mittagspause ihren Vater, der als Schulwart in einer Schule arbeitet. Dort gibt es einen geheizten Arbeitsraum, wo sie sich ein wenig aufwärmen kann.

Für ihre Arbeit benötigt Erika ein Bügeleisen. Die Stadtwerke stellen aber jeden Tag den Strom für zwei Stunden ab. Ein elektrisches Gerät wäre daher unpraktisch. Stattdessen verwendet Erika ein Bügeleisen mit „Stachel“. Das ist ein schweres Stück Eisen, das sie ins Feuer legt. Wenn der „Stachel“ fast glüht, gibt sie ihn in den Hohlraum des Bügeleisens. Sie bügelt zuerst die schweren, dann die dünneren Sachen – bis der Stachel so weit ausgekühlt ist, dass sie ihn von Neuem ins Feuer legen muss. Damit kennt sie sich aus. Zuhause verwendet sie dasselbe Bügeleisen, denn Stromleitungen gibt es in ihrer Siedlung am Stadtrand noch nicht.

Zeitstrahl 1946 © wasbishergeschah.at