Von 1943 bis Kriegsende werden über 2.000 Menschen vom Nordbahnhof in den Tod geschickt. Der reguläre Eingang zum Bahnhofsgebäude wird gemieden. Juden und Jüdinnen werden an der Postrampe „einwagoniert“, wie es damals heißt. Der Nordbahnhof ist die einzige direkte Verbindung von Wien in das Vernichtungslager Auschwitz.
Die Nationalsozialisten definieren, wer als jüdisch gilt und wer nicht. Schon seit 1939 werden die als jüdisch eingestuften Menschen deportiert und ermordet. Juden und Jüdinnen, die 1943 noch in Wien leben, gehören einer „Mischehenfamilie“ an, besitzen eine ausländische Staatsbürgerschaft oder haben eine Funktion beim „Ältestenrat“, der Nachfolgeorganisation der Israelitischen Kultusgemeinde. Sie sind in Lebensgefahr. Wenn zum Beispiel der nicht-jüdische Partner stirbt oder die Ehe scheitert, droht die Verschleppung in ein Konzentrationslager.
Ihre Tagesberichte dokumentieren, welche „Vergehen“ die Personen begangen haben, die vom Nordbahnhof deportiert werden. Schon der Versuch, am Schwarzmarkt oder bei Bauern an Lebensmittel zu gelangen, kommt einem Todesurteil gleich. Die antijüdische Gesetzgebung hat sich immer weiter verschärft: Juden und Jüdinnen dürfen keine Haustiere halten und keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, ab 1942 sind sie vom Schulbesuch ausgeschlossen und sogar der Kauf von Eiern, Fleisch und Mehl ist ihnen untersagt.
Der Luftkrieg setzt dem Nordbahnhof schwer zu. Gegen Kriegsende wird er von Bomben schwer beschädigt und nicht mehr in Betrieb genommen. 1965 wird das Gebäude gesprengt.
Bis in die 2000er-Jahre heißt das Gelände im Volksmund „Alliiertenviertel“ nach der angrenzenden Alliiertenstraße. Erst seit 2010 setzt sich die Bezeichnung „Nordbahnviertel“ durch. Heute erinnert nichts mehr an den dunklen Schreckensort von damals.