Gerichtsszene: Zwei Richter und ein Schreiber an einem Tisch, umgeben von sechs stehenden Personen, den Streitenden und einem Gerichtsdiener © Wikimedia

Nicht zu fassen! 

Räu­ber Gra­sel und die Hilf­lo­sig­keit der Be­hör­den

Im frühen 19. Jahrhundert misstrauen viele Menschen dem Staat. Denn die Behörden sind korrupt und unfähig, für die Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen. Ideale Bedingungen für Grasel, der immer wieder entkommt.

August 1812 in der niederösterreichischen Kleinstadt Horn: In einer Arrestzelle streckt der Amtsschreiber dem Verbrecher Johann Georg Grasel seine Hand entgegen. Nach kurzem Zögern holt Grasel seine goldene Taschenuhr aus der Hosentasche und gibt sie dem Amtsdiener, der sie zufrieden einsteckt. 

Nun zeigt der Amtsdiener auf das Fenstergitter, schildert dem Häftling die Schwachstelle der Konstruktion und verspricht nochmals, dass Grasel sicher entkommen wird. Er wendet sich von dem Gefangenen ab und verlässt die Zelle. Grasel wird bald dasselbe tun – allerdings übers Fenster, nicht durch die Tür.

 Grasel nützt die Schwäche des Staates aus

Der Räuber und Mörder Grasel stammt aus einer Randgruppe der Gesellschaft. Er ist in einer Abdeckerfamilie aufgewachsen. Die Abdeckereien verwerten Tierkadaver. Ihre Arbeit gilt als unrein. Die „anständigen“ Leute meiden die Abdecker schon deshalb, weil das verwesende Fleisch so stinkt. Die Abdecker bleiben daher unter ihresgleichen. Manche von ihnen arbeiten auch als niedere Gerichtsdiener und oft sind Scharfrichter zugleich Abdecker. Sie haben wenig Grund die Obrigkeit zu mögen, für die sie die Schmutzarbeit tun. Schlechte Bezahlung macht zudem anfällig für Korruption.

All das weiß Grasel für sich zu nützen. Jahrelang zieht er raubend durch das Waldviertel und entkommt den Behörden immer wieder. Korrupte Gerichtsbedienstete verraten es ihm, wenn Streifen und Hausdurchsuchungen bevorstehen. Dreimal gelingt ihm der Ausbruch aus dem Gefängnis.  

© Museum Horn, Steckbrief 7. November 1815
Auch Steckbriefe halfen nicht, den Räuber Grasel zu erwischen.


Tausendmal berührt, tausendmal ist nichts passiert

Grasel kennt eine weitere Schwachstelle. Damals ist die lokale Rechtsprechung in der Hand des grundbesitzenden Adels. Alleine schon in Niederösterreich gibt es 1000 herrschaftliche Gerichte. 200 davon sind für den Räuber zuständig!

Im Oktober 1815 beschwert sich der mährische Graf Mittrowsky, dass die Ämter so träge handeln. Sie sind dem Räuber hoffnungslos hinterher: Werden Auskünfte erbeten, kommen die Antworten meist so spät, dass sie längst nicht mehr stimmen. Noch dazu verfolgen die lokalen Gerichte ganz unterschiedliche Strategien. Manche wollen den Räuber in ihr Gebiet locken, um ihn zu fangen. Andere wollen ihn dagegen aus ihrer Region fernhalten.

Die Behörden sind also langsam und arbeiten nur schlecht zusammen. Der Räuber ist hingegen höchst mobil. Er hat keinen festen Wohnsitz, sondern wechselt ständig seinen Unterschlupf. Er bevorzugt Abdeckereien von Verwandten und Bekannten. Am 20. November 1815 stellen ihm die Behörden aber eine aufwendige Falle in einem Wirtshaus in Mörtersdorf. So gelingt es ihnen, den brutalen Schwerverbrecher zu verhaften.

Erst nach Jahren wird Grasel verhaftet. Im Bild: Grasel mit seinen Gefährten Gams (Fähding) und Stangl nach ihrer Verhaftung. © Wikimedia
Zeitstrahl 1812 © wasbishergeschah.at

Weiterführend:

Robert Bartsch: Johann Georg Grasel und seine Kameraden, Rikola Verlag, Wien 1924.

Winfried Platzgummer, Christian Zolles: J. G. Grasel vor Gericht. Die Verhörprotokolle des Wiener Kriminalgerichts und des Kriegsgerichts in Wien, Waldviertler Heimatbund, Horn/Waidhofen a.d. Thaya, 2013.