Frauen mit Schürze und Kopfbedeckung stehen an der linken und rechten Seite eines großen Raumes und kochen mit damals modernen Geräten.  © Wien Museum

Be­frei­ung vom Ko­chen: 

das „Ein­kü­chen­haus“

1901 schlägt die deutsche Frauenrechtlerin Lily Braun vor, große Wohnhäuser mit einer zentralen Küche zu bauen. Damit will sie Frauen von Hausarbeit entlasten. 

Sie stellt sich das so vor: ein Haus in einem großen Garten mit 50 bis 60 Wohnungen. Statt einer Küche haben sie nur einen Gaskocher für Notfälle. Dafür bringt ein Speiseaufzug das Essen aus einer zentralen Küche. Die befindet sich im Erdgeschoss und ist mit den modernsten Geräten ausgestattet. Die Bewohner:innen können wählen, ob sie lieber in ihrer Wohnung oder im gemeinsamen Speisesaal essen. Er dient auch als Versammlungsraum und Spielzimmer für Kinder.

Speisesaal einer Wiener öffentlichen Küche (WÖK), um 1926. © Wien Museum

Die Idee ist revolutionär und weckt daher scharfe Kritik: Eine Wohnung ohne Küche? Im konservativen Deutschen Kaiserreich will man(n) sich das nicht vorstellen. „Eigener Herd ist Goldes wert“, lautet damals ein Sprichwort. Der Herd ist ein Symbol für die bürgerliche Traumfamilie, in der sich die Ehefrau um den Haushalt kümmert und ihr Mann für das Einkommen sorgt. Doch dieses Familienbild hat mit dem Alltag der meisten Menschen wenig zu tun. Damit die Familie über die Runden kommt, müssen auch verheiratete Frauen Geld verdienen: in der Fabrik, als Verkäuferin im Laden, durch Nähen oder Wäschewaschen für andere. Zusätzlich müssen Ehefrauen aber auch noch ihren Mann bekochen, Kinder versorgen, Wäsche waschen und die Wohnung sauber halten.

Schöner Wohnen: „von Kochherd und Waschfass befreit“

Vor Lily Braun haben auch andere schon überlegt, die Hausarbeit gemeinschaftlich zu organisieren, anstatt sie als heilige Verpflichtung von Frauen zu behandeln. Aber ihre Schrift „Frauenarbeit und Hauswirtschaft“ erregt großes Aufsehen. Mit ihrem „Einküchenhaus“ will Braun nicht nur den „schädlichen Dilettantismus in der Küche“ beenden; sie will darüber hinaus auch weitere Aufgaben bündeln, um sie aus den Familien auf bezahlte Arbeitskräfte auslagern zu können. Die Kosten dafür sollen im Mietpreis enthalten sein. So soll das Wohnhaus z.B. eine Wäscherei und eine zentrale Heizung bieten. Für die Kinderbetreuung sorgt geschultes Personal auf eigenen Spielplätzen, um die Kinder „vom Einfluss der Straße und der traurigen Frühreife der Stadtkinder“ zu schützen. Auf diese Weise soll das Einküchenhaus die Hausarbeit der einzelnen Bewohnerinnen auf ein Minimum reduzieren. Lily Braun ist überzeugt: Dadurch wird den Frauen mehr Zeit bleiben, um am sozialen Leben teilzunehmen.

Lily Braun setzt sich für die Errichtung von Einküchenhäusern ein. © Wikimedia

1903 gründet Lily Braun die „Haushaltungsgenossenschaft“. Die Genossenschaft soll die Planung und Errichtung des Einküchenhauses finanzieren und umsetzen. Braun findet aber zu wenig Unterstützung für ihr Projekt. Das Geld fehlt und schon 1904 muss sie das Vorhaben aufgeben. Trotzdem entstehen in mehreren europäischen Städten Einküchenhäuser. Mit dem „Heimhof“ auch im 15. Wiener Gemeindebezirk. Allerdings bedienen die Häuser hauptsächlich Angehörige des Mittelstandes, anstatt das Leben der Arbeiterschaft und von kleinen Angestellten zu verbessern.

Zeitstrahl 1901 © wasbishergeschah.at
Modell eines dreistöckigen Hauses mit Spitzdach, französischen Balkonen und Gartenanlage. © Wikimedia
 
Eine Frau holt Wäsche aus dem Trog einer großen Waschtrommel, dahinter ein Mann und zwei Frauen an Waschgeräten. © © Wien Museum
 
Eine Frau mit langem Rock und hochgestecktem Haar nimmt ein Tablett mit Essen aus einem hölzernen Speiseaufzug, auf dem große Vasen stehen. Daneben zwei Stühle und ein Beistelltisch. © Wikimedia