Zeichnung von alten Bettlern und Bettlerinnen, die nebeneinander in zerlumpter Kleidung stehen. Alle tragen eine Kopfbedeckung und haben einen Gehstock, eine Frau betet den Rosenkranz. © Wikimedia

Betteln in Wien: 

Verbote und „Bettel­zeichen“

Wer vor 350 Jahren in Wien arm ist, muss betteln, um zu überleben. Nur wenige Menschen bekommen eine Erlaubnis dafür.

Frühjahr 1670: Eine alte Frau geht von Mariahilf langsam zur Hofburg. Dort sitzt der Kaiser Leopold I. auf seinem Thron. Die alte Frau hat keinen Thron, sie geht weiter zum Michaelerplatz. Vor dem Eingang der Michaelerkirche setzt sie sich hin und bettelt. Darf sie das? Ja, denn auf ihrem Gewand ist ein Zeichen angebracht, das sie von der Stadt Wien bekommen hat. 

Die Frau heißt Christina Haimblin und ist über 50 Jahre alt. Sie kommt aus der Steiermark oder aus Salzburg – so genau weiß man das damals nicht. Früher hat sie mit ihrem Mann im Wald gearbeitet, der ist aber gestorben. Sie ist zu schwach zum Arbeiten. Seit vier Jahren hat sie die Erlaubnis zu betteln.

Betteln nach Vorschrift

 Es gibt damals fast 500 offizielle Bettler:innen in der Stadt. Sie werden „Stadtzeichnerinnen“ und „Stadtzeichner“ genannt, weil sie ein Bettelzeichen tragen. Wie das Zeichen genau aussieht, weiß man leider nicht. Man weiß nur, dass es „gegossen“ war. Die meisten Armen mit diesem Zeichen kommen nicht aus Wien, viele sind in Niederösterreich geboren. Manche stammen sogar aus Frankreich, Irland oder Russland. Sie waren Soldaten oder haben als Tagelöhner gearbeitet, am Bau oder bei der Ernte im Weingarten. Nun sind sie aber krank oder hatten einen Unfall. Es gibt mehr arme Frauen als Männer, die meisten sind alt und zu schwach zum Arbeiten. 

Überleben können sie nur, wenn sie betteln.  

Den Bettler:innen werden eigene Orte zugewiesen, meist vor Kirchen. © Wien Museum

Viele Arme wohnen in den westlichen Vorstädten. Zum Beispiel in Sankt Ulrich, das heute zum 7. Bezirk gehört. Christina Haimblin wohnt „auf der Windmühle“, also dort, wo heute im 6. Bezirk die Windmühlgasse liegt. Sie darf aber nicht überall betteln: Bettler:innen bekommen einen festen Ort zugewiesen, oft bei einer Kirche. Wenn Christina Haimblin aufsteht und woanders bettelt, wird sie verwarnt. Man muss nicht katholisch sein, um betteln zu dürfen. Aber man muss beweisen, dass man in die katholische Messe geht und Religionsunterricht nimmt.

Frauen wie Christina Haimblin haben noch Glück im Unglück: Ärzte und Politiker haben festgestellt, dass sie eine „würdige“ Arme ist und betteln darf. Die meisten armen Menschen in Wien dürfen damals nicht betteln: Wer dabei erwischt wird, muss die Stadt verlassen.

Wer betteln will, muss die katholische Messe besuchen und Religionsunterricht nehmen. © Wikimedia
Zeitstrahl 1670 © wasbishergeschah.at