Immer mehr Menschen zieht es im 19. Jahrhundert in die Hauptstadt. Sie leben in kleinen, unhygienischen Wohnungen. Die allermeisten von ihnen haben damals keinen Wasseranschluss und keine eigenen Toiletten. Waschbecken und Klos gibt es nur am Gang. Sie werden von den Mietern und Mieterinnen geteilt. Das Wasser in den Brunnen ist oft verschmutzt. Das Kanalsystem ist schlecht. So brechen immer wieder gefährliche Krankheiten aus.
Die neu gebaute Wiener Hochquellwasserleitung bringt Ende des Jahrhunderts endlich sauberes Wasser in die Stadt. Auch die sogenannten Tröpferlbäder sollen das Leben in Wien hygienischer und gesünder machen. Das erste von ihnen öffnet 1887 in der Mondscheingasse im siebten Bezirk seine Türen.
Wer in so einem öffentlichen Bad duschen möchte, muss zuerst eine Eintrittskarte kaufen. Dann bekommen die Badegäste ein Handtuch und eine Badeschürze. Sie können ihre Sachen in einem Kästchen einsperren. Eine halbe Stunde haben sie Zeit, sich auszuziehen, zu duschen und wieder anzuziehen. Ist das Bad gut besucht, tröpfelt das warme Wasser manchmal nur schwach aus der Leitung. Daher kommt auch der Name Tröpferlbad.
Ab 1919 baut die Wiener Stadtregierung viele neue Wohnungen. In den Gemeindebauten des sozialdemokratisch regierten „Roten Wien“ gibt es nun Toiletten und fließendes Wasser in der Wohnung – ein Badezimmer in der Regel aber nicht. So werden auch in den großen Höfen der Stadt öffentliche Brause- und Wannenbäder errichtet. Auch in den großen neuen Schwimmbädern, wie dem Amalienbad am Reumannplatz, können sich die Wiener und Wienerinnen gegen ein kleines Eintrittsgeld duschen.
Als nach dem Zweiten Weltkrieg in den meisten Wiener Wohnungen Bäder eingebaut werden, sperren die Tröpferlbäder nach und nach zu. Einige werden zu Saunen und Dampfbädern umgebaut. In Ottakring gibt es bis heute das letzte der klassischen Tröpferlbäder. Von Mittwoch bis Samstag können Menschen, die kein eigenes Badezimmer haben, dort duschen oder ein Bad nehmen.
Julia Tyll-Schranz
Michaela Maier, Das Bad im Proletenviertel. In: Werner Michael Schwarz, Georg Spitaler, Elke Wikidal (Hg.), Das Rote Wien 1919–1934. Ideen, Debatten, Praxis. Basel, 2019.