Eine große Gruppe Frauen in Festkleidung mit drei großen Fahnen und einem Banner steht vor dem Eingang zu einem Haus. Auf dem Banner ist zu lesen: Heraus mit der Arbeitslosenversicherung für Hausgehilfinnen.  © ANNO ÖNB

Dienst­mädchen in Wien: 

„Ent­lassen, arbeits- und obdach­los!“

In den 1920er-Jahren sind viele Menschen in Österreich arbeitslos. Dienstmädchen trifft ein Jobverlust besonders hart, weil sie aus der Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen sind. 

Wien, 1927: Die Zeitschrift des Hausgehilfinnen-Vereins „Einigkeit“ berichtet von fatalen Missständen im Arbeitsalltag der Dienstmädchen. Ein 15-jähriges Mädchen muss bis zu 16 Stunden am Tag arbeiten. Sie wird tagein, tagaus von ihrer Chefin „sekkiert“. Lohn bekommt sie kaum. Trotzdem will sie nicht, dass der Verein interveniert. Denn sie wohnt im Haus der Chefin. Sie hat Angst, nicht nur ihre Stelle, sondern auch ihren Schlafplatz zu verlieren. 

Damit wäre sie nicht allein. Dienstmädchen sind bis in die 1930er-Jahre von der Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen. Verliert eine Hausgehilfin den Job, ist sie meist auch das Dach über dem Kopf los. Eine Studie der Arbeiterkammer aus demselben Jahr zeigt: Ein Drittel der befragten Dienstmädchen war in den letzten Jahren arbeitslos. Jeden Tag suchen rund 300 Hausgehilfinnen in Unterkünften für Obdachlose Unterschlupf.

In der Zwischenkriegszeit droht arbeitslosen Dienstmädchen die Obdachlosigkeit. © ÖNB Bildarchiv

Ein Heim für Hausgehilfinnen

Nach Beschwerden der arbeitslosen Dienstmädchen wird die Gemeinde Wien tätig. Am 12. April 1927 eröffnet sie in der Rahlgasse das erste Heim für Hausgehilfinnen. Es soll arbeits- und obdachlosen Dienstmädchen eine Unterkunft und Unterstützung bei der Arbeitssuche bieten. Der Verein „Einigkeit“ betreibt das Heim. In seiner Vereinszeitung verspricht er eine „Stätte der Solidarität, der Liebe, der Freundschaft“ für die Hausgehilfinnen. Sechs Schlafsäle, ein Bad, eine Küche und ein Speisesaal stehen den Bewohnerinnen zur Verfügung. Auch ein Schreibzimmer und eine Stellenvermittlung gibt es. Mehr als 2.000 Frauen finden hier bereits im ersten Jahr Zuflucht. 1928 entsteht ein zweites Heim in der Radetzkystraße.
„Nun haben wir Hausgehilfinnen einen Zufluchtsort.“

Ein Schlafsaal im Hausgehilfinnenheim. © ANNO ÖNB

Der Verein „Einigkeit“ betreibt nicht nur das Heim. Seit 1911 versucht er die Hausgehilfinnen zu organisieren. Eine schwierige Aufgabe. Denn die Dienstgeber wollen nicht, dass ihre Angestellten eine Vertretung erhalten. Außerdem arbeiten die Frauen voneinander isoliert, jede in einem anderen Haus. Immerhin kann der Verein die Dienstmädchen in rechtlichen Fragen beraten und er bietet Fortbildungskurse an. Dadurch verbessert er die Situation der Dienstmädchen ein wenig.

Zeitstrahl 1929 © wasbishergeschah.at