Aquarell des Narrenturms. Die untersten beiden Stockwerke des hellbraunen Turms sind glatt, während darüber noch deutlich Fugen zu sehen sind. Das Dach des Turms ist braunrot. Im Vordergrund vor dem Turm befinden sich einige Menschen. Links und rechts vom Turm gibt es grüne Bäume und Wäscheleinen.  © Wien Museum

„Narrenschauen“

in Wien

Bis heute kämpfen Menschen mit psychischen Erkrankungen gegen Isolation und Spott. Vor 240 Jahren wird der Narrenturm in Wien gebaut, um vermeintliche „Irre“ von der Bevölkerung fernzuhalten – und zieht stattdessen Schaulustige an. 

Wien an einem Sonntag in den 1780er-Jahren: Um den Wiener „Narrenturm“ haben sich einige Leute versammelt, die einen lustigen Nachmittag erleben wollen. Durch die Fenster beobachten sie die Insassen, die im Turm eingesperrt sind, weil sie als wahnsinnig gelten: Die Schaulustigen lachen über das Gebrüll, das die „Irren“ von sich geben.

Wenn einmal nichts zu sehen ist, helfen sie nach: Laut rufen sie Beleidigungen und hoffen, dass die Eingesperrten zu toben anfangen. Ein Zuschauer geht noch weiter: Mit einem Stock pikt er einen Insassen, der in der Fensternische steht und hinausstarrt. Die Menge lacht.

Eingesperrt im Turm

Menschen mit psychischen Erkrankungen, aber auch Menschen mit Behinderungen gelten damals als gefährliche „Irre“, die man von der Gesellschaft fernhalten muss. Den Habsburger-Kaiser Joseph II. besorgt eines besonders: Welchen Einfluss hat es auf Jugendliche und schwangere Frauen, wenn sie in Kontakt mit „Irren“ kommen? Darum lässt er in Wien einen Turm bauen, in dem Menschen mit psychischen Erkrankungen leben – weggesperrt von der restlichen Bevölkerung. 

Joseph II. (1741-1790) lässt den „Narrenturm“ bauen, um vermeintliche „Irre“ von der restlichen Bevölkerung zu trennen. © Wikimedia.

Schon damals wundern sich viele Menschen über die seltsame Form des „Narrenturms“. Das kreisrunde Gebäude ähnelt eher einer Festung als einem Spital. Gebaut wurde es nicht nach medizinischen Kriterien, sondern nach dem Geschmack des Kaisers. 

Bereits Zeitgenoss:innen wundern sich über die runde Form des „Narrenturms“. © ÖNB Bildarchiv

Alles am Turm zielt darauf ab, die Insassen zu isolieren und Kontakte zur Bevölkerung zu verhindern: In den kleinen Zimmern lebt oft nur eine einzige Person. Gemeinschaftsräume oder Speisezimmer gibt es nicht. Sogar das medizinische Personal soll sich so weit wie möglich von den Patient:innen fernhalten. Selbst die modernen Toiletten mit Ablauf in jedem Zimmer gibt es hauptsächlich deshalb, damit die Pfleger:innen nicht den Raum zum Nachttopf-Leeren betreten müssen.

Sichtschutz gegen Schaulustige

All diese Bemühungen scheitern jedoch an der Faszination, die der Turm auf die Bevölkerung ausübt: Für viele Menschen aus Wien wird das „Narrenschauen“ eine beliebte Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen. Für Reisende sind die „Irren“ im Narrenturm eine Sehenswürdigkeit.

Nach dem Tod von Kaiser Joseph II. Im Jahr 1790 wird der Narrenturm nach und nach umgestaltet. Ein neuer Krankenhausdirektor erkennt das Problem, dass die Patient:innen ständig von Schaulustigen gequält werden. Er lässt die Fugen in der Fassade der untersten zwei Stockwerke füllen, damit niemand mehr an den Wänden des Turmes hinaufklettern kann. 1796 lässt er außerdem eine dreieinhalb Meter hohe Mauer um den Turm bauen – nicht um Kranke einzusperren, sondern um Zuschauer:innen loszuwerden. 

Um Schaulustige fernzuhalten, wird eine Mauer gebaut und die Fassade der untersten beiden Stockwerke geglättet. So kann niemand mehr am Gebäude hochklettern. © Wikimedia
Zeitstrahl 1784 © wasbishergeschah.at

Weiterführend:

Daniel Vitecek, Der Wiener Narrenturm. Die Geschichte der niederösterreichischen Psychiatrie von 1784 bis 1870, Wiesbaden 2023.

Herbert Posch, Narrenturm, in: Herbert Posch/Markus Stumpf/Linda Erker/Oliver Rathkolb (Hg.), Vom AKH zum Uni-Campus, Wien 2015, 84–87.