Am Polizeikommissariat Leopoldstadt werden sie zu ein oder mehreren Tagen Polizeiarrest verurteilt. Diese Strafe hat das nationalsozialistische Regime eingeführt und gegen aufmüpfige Jugendliche – die sogenannten „Schlurfs“ – eingesetzt. Die Republik hat das beibehalten. Die Zeitungen toben und verurteilen die „Rowdies“. Fast jeden Tag erscheinen damals Artikel gegen die „Halbstarken“, die „Schlurfs“ und die „Plattenbrüder“. „Platte“ ist ein alter Wiener Ausdruck für Jugendgruppen in den Arbeiterbezirken. Manchmal sind damit aber auch Banden von kleinen Gaunern gemeint. Kriminelle oder Jugendliche, die sich zum Vergnügen in Parks oder auf der Straße treffen – für die Presse macht das keinen Unterschied. Sie wirft alle in einen Topf.
Unter den Journalisten gibt es aber eine Ausnahme: Der Fotoreporter Harry Weber arbeitet für die Wochenzeitung „Stern“. Er möchte die andere Seite hören: Wenige Tage nach dem Polizeieinsatz geht er zur Augartenbrücke und spricht dort mit den Jugendlichen. Eine davon ist eine Hilfsarbeiterin, die fürs Rock’n’Roll-Tanzen vier Tage Arrest ausgefasst hat. Die Zeitungen bezeichnen sie als „Halbstarken-Braut“, als weiblichen „Boß“ der Jugendlichen. Margit ist 17 Jahre alt, hat einen 15-jährigen Freund und arbeitet in einer Floridsdorfer Fabrik.
Harry Weber gewinnt das Vertrauen der Jugendlichen und kann sie fotografieren. Sie erzählen: Viele arbeiten schon, leben aber noch bei ihren Eltern in engen Wohnungen. Die Lokale sperren zu spät auf, die Tanzschulen spielen keinen Rock'n'Roll, sondern nur Tango. Wo sonst als im Freien sollen sie ihre Musik hören?
Harry Weber erinnert sich noch an den Zweiten Weltkrieg und schreibt: „Vor 12 Jahren drückte man Gleichaltrigen Maschinengewehre in die Hand“ – Besser sie machen Lärm und tanzen.
Harry Weber: Ich ging mit Halbstarken, in: Der Stern. Ausgabe für Österreich, 24.8.1957, 8 f., 30.