Vor der Industrialisierung leben, wohnen und arbeiten die Menschen oft am selben Ort. Das Haus ist auch Werkstatt oder Mittelpunkt eines Bauernhofs. Das ändert sich seit dem 19. Jahrhundert für viele Menschen und zuerst in den Städten. Mit „Arbeit“ ist bald nur noch bezahlte Lohnarbeit gemeint und die findet zunehmend außer Haus statt. Täglich endet die „Arbeit“ damit, dass Arbeiter:innen und Angestellte das Gebäude oder Betriebsgelände verlassen, wo sie ihre Erwerbsarbeit tun – dann beginnt die Zeit, die ihnen selbst gehört. Die Industrialisierung schafft dadurch eine neue Grenze im Alltag: Sie spaltet den Tag zwischen „Arbeitszeit“ und „Freizeit“.
Arbeiterbewegungen kämpfen für ein besseres Leben der Arbeiter:innen: kürzere Arbeitszeiten, Urlaub und einen Lohn, der nicht nur zum Überleben reicht. Er soll auch eine Freizeit ermöglichen, in der die Menschen tun können, was sie wollen. Die wirtschaftliche Elite sieht das gar nicht gern und nennt ihre unzufriedenen Angestellten faul. Die Arbeiterbewegung und die Eliten streiten nicht nur darüber, wieviel Freizeit Menschen brauchen. Sie diskutieren auch darüber, wie die Menschen ihre Freizeit verbringen sollen. Tanzende Arbeiter:innen scheinen da ein Problem – ist doch nutzlos und moralisch bedenklich, wenn die durch die Nacht tanzen.
Seit dem späten 19. Jahrhundert finden die Forderungen nach kürzerer Arbeitszeit eine Unterstützung, die über die Arbeiterbewegung hinausreicht. Argumente liefert auch die entstehende Arbeitswissenschaft. Ihr geht es darum, die Leistungsfähigkeit der Arbeiterschaft für die Unternehmen zu sichern. „Leistung“ stellt man sich ganz nach den Gesetzen der Physik vor: Wenn die Energie verbraucht ist, geht nichts mehr. Langsam kommt noch eine zweite Überlegung dazu: Auch „Gleichförmigkeit“ schadet. Um mit „Energie“ zu arbeiten, benötigen Arbeiter:innen einen Ausgleich zu eintöniger Arbeit: spannende Erlebnisse – z. B. beim Tanzen im Club. Dass solche Erlebnisse auch ihren eigenen Wert haben, ist nicht Teil der Diskussion.