9. November 1938 nachts in Neupölla, einem kleinen Dorf in Niederösterreich. Voller Angst steht die jüdische Familie Biegler hinter dem Haustor ihrer Greißlerei. Von draußen hören sie wütende Rufe. „Wir öffneten das große Tor und eine Horde von jungen Burschen verfluchte uns. Der Rädelsführer Johann Leidenfrost schlug meinem Vater mit der Faust ins Gesicht“, schildert Laura Biegler später. Zur Zeit der Pogromnacht ist sie noch sehr jung, aber auch sie wird verprügelt: „Das Blut floss nur so von meines Vaters Gesicht. Ich wollte ihn beschützen, dann bekam ichs.“
Was die Bieglers erleiden ist kein Einzelfall. Es hat System, auch im ländlichen Raum. Die jüdische Bevölkerung ist bereits entrechtet, aber mit dem Novemberpogrom verschärfen die Nationalsozialisten die Verfolgung weiter. Sie gehen noch brutaler vor. SS und SA führen an vielen Orten die Meute an. Gemeinsam zünden sie die jüdischen Bethäuser an und zerstören, was jüdischen Familien gehört. Die Bieglers haben ein kleines Geschäft. Die Hetzmeute schlägt dessen Fensterscheiben ein. Klirrend gehen die Scheiben zu Bruch. Kaputt. So wie das bisherige Leben der Familie. Für die NS-Propaganda sind die vielen zerschlagenen Scheiben Anlass, von einer „Reichkristallnacht” zu spotten.