11. Jänner 1943: Konzentriert sitzt SS-Sturmbannführer Hermann Höfle beim Telegraphen. Er sendet gerade einen Funkspruch in „geheimer Reichssache“ an SS-Obersturmbannführer Franz Heim: den aktuellen Bericht zum „Einsatz Reinhardt“. So nennen die NS-Behörden die systematische Ermordung von Juden, Roma und Sinti, die sie während der Jahre 1942/43 im besetzten Polen durchführen. Dieser Massenmord ist ein zentraler Teil des Holocaust. Höfle bilanziert den Stand der Getöteten mit dem Stichtag 31. Dezember 1942: „zusammen 1.274.166“. Der britische Geheimdienst fängt den Funkspruch ab.
Formuliert ist das Dokument in einer sehr verkürzten Sprache: „Betr: 14-tägige Meldung Einsatz REINHART. Bezug: dort. Fs. Zugang bis 31.12.42, L 12.761, B 0, S 515, T 10.335, zusammen 1.274.166“. SS und Pol.führer LUBLIN, HOEFLE, Sturmbannführer.“ Die Bediensteten des britischen Geheimdiensts haben wahrscheinlich nicht verstanden, was hier der eine Nazi-Verbrecher dem anderen mitteilt. Woher hätten sie auch wissen sollen, wofür die Buchstaben vor den Zahlen stehen? Es sind die Abkürzungen für Mordstätten der Nationalsozialisten: das Konzentrationslager Lublin-Majdanek und die Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka.
Die britischen Beamten erkennen somit nicht die Tragweite des Telegramms, das sie abgefangen haben: Es zeigt, dass die Nazis am Holocaust arbeiten, an der vollständigen Vernichtung großer Bevölkerungsgruppen. Hermann Höfle leitet und koordiniert die Mordaktion, die so harmlos „Einsatz Reinhardt“ heißt. Sein Telegramm ist das einzige, das genaue Zahlen zu den Morden in den einzelnen Lagern nennt.