Ein großer Platz vor dem großen mehrstöckigen Rathaus. Mehrere hohe Hakenkreuzfahnenreihen sind zu sehen. Im Zentrum des Platzes stehen mehrere Hundert Personen. Dahinter sind niedrigere Häuser zu sehen.   © Bildarchiv des Vereins zur Förderung der Erneuerung von Laa an der Thaya

„Tage des Schreckens und der Qual“: 

Der „Anschluss” in der Klein­stadt Laa an der Thaya

Der „Anschluss” an Nazideutschland hat von der ersten Stunde an Folgen für die jüdische Bevölkerung Österreichs. Die Misshandlungen beginnen sofort. Dörfer und kleine Städte werden rasch „judenrein” gemacht.

März 1938, Laa an der Thaya im nördlichen Niederösterreich: Mehrere Personen knien am Gehsteig und schrubben. Sie müssen für die Nazis Parolen gegen den „Anschluss” wegwaschen. Dabei werden sie von Passanten beschimpft und ausgelacht. Die 12-jährige Karola Österreicher sieht die Demütigung ihrer Eltern: „Ich weinte, als ich das sah, wie meine Eltern erniedrigt wurden, wie die Leute ringsherum standen, johlten u. lachten.“ Niemand der Zusehenden hilft ihnen.

Als die Nazis in Österreich in der Nacht vom 11. auf den 12. März 1938 die Macht übernehmen, setzt augenblicklich eine Schreckensherrschaft ein. Bekannt sind die Bilder aus Wien von den begeisterten Massen und den sogenannten „Reibpartien“ – den Anschlusspogromen. Doch auch fern von den Zentren leben lokale Nazis einen Machtrausch aus. Überall werden Juden und Jüdinnen wie die Familie Österreicher misshandelt und öffentlich gedemütigt. Die Bevölkerung sieht zu, lacht mit und macht mit. Karola Österreicher beschreibt diese Zeit als „Tage des Schreckens und der Qual, Unsicherheit, Demütigung und Hass“.

Lachend stehen die Menschen um die schrubbenden Juden und Jüdinnen. © Bildarchiv des Vereins zur Förderung der Erneuerung von Laa an der Thaya

Hetzmeuten in den Straßen

Niemand spricht nun mehr mit Juden und Jüdinnen. Karola Österreicher ist „todtraurig“, weil ihre Schulkamerad:innen sie beschimpfen und mit Steinen bewerfen. Nachts zieht die Hitlerjugend mit Fackeln durch die Straßen der Kleinstadt und singt von „jüdischem Blut“ auf Messerklingen. „Ich nahm meine Decke über meinen Kopf und umarmte Burli, meinen treuen Hund“, erinnert sie sich später. Einmal kommt ein Mann in das Geschäft der Familie von Karola Österreicher und verlangt den Kassenschlüssel: „Er muss unser Geld verwalten und wir Saujuden brauchen sowieso kein Geld mehr.“ Die Opfer können in der Regel nichts dagegen machen, auch nicht gegen das Verbot, bei Juden und Jüdinnen einzukaufen.

Beraubung und Vertreibung

In den folgenden Monaten müssen alle Juden und Jüdinnen ihren Besitz abgeben. Ihre Wohnhäuser gehen oft an NS-Organisationen wie den Bund Deutscher Mädchen. In Laa an der Thaya steigt der Druck auf die jüdische Bevölkerung. Die „Laaer Nachrichten“ geben ihnen zu verstehen, dass sie aus der Stadt wegziehen sollen: „Es wäre zu viel verlangt, immer noch die feisten Judengesichter mauschelnd durch die Straßen ziehen zu sehen.“

Familie Österreicher flüchtet schließlich nach Bratislava. Bevor sie Laa an der Thaya verlassen, werden sie beraubt: „Unser Geschäft wurde geplündert, die ganze Ware ausgeladen und wegtransportiert.“ Im September 1938 verkündet die Lokalzeitung von Laa: „Judenrein! Dieser Tage sind die letzten Reste der Juden von Laa weggezogen.“

Karolas Eltern werden im KZ Auschwitz ermordet. Sie selbst überlebt mehrere Konzentrationslager. Nach dem Zweiten Weltkrieg geht sie nach Israel. 

Karola Österreicher erlebt die Anschlusspogrome in Laa an der Thaya mit. Hier ist sie mit einem Ihrer Kinder zu sehen. © Magdalena Nagel, Karola Österreicher mit ihrem Kind
Zeitstrahl 1938 © wasbishergeschah.at

Weiterführend:

Stefan Eminger/Ernst Langthaler/Klaus-Dieter Mulley, Nationalsozialismus in Niederösterreich. Opfer. Täter. Gegner, Innsbruck/Wien 2021

Rudolf Fürnkranz, Die Nationalsozialisten in Laa, in: Kulturhefte 41, 2022, 3–49