Ein Pavillon, Bäume und zwei Menschen auf einer Aussichtsplattform mit Blick auf die dahinterliegende Stadt Wien.  © Wien Museum

Geheime Treffen im Wiener­wald: 

Die „Mischlings­liga Wien“

Kinder mit einem jüdischen und einem „arischen“ Elternteil stuft das nationalsozialistische Regime als minderwertig ein. Jugendliche „Mischlinge“ organisieren sich heimlich. Sie riskieren ihr Leben, um den Nazi-Krieg zu sabotieren.

Wien, um 1940: Der junge Kurt Pollak hat Angst vor den Menschen – in der Schule, beim Arzt, in der Straßenbahn. Zu oft haben andere ihn beleidigt und gequält. Der Grund: Die rassistischen Gesetze der Nationalsozialisten nennen ihn „Mischling“, weil er einen jüdischen Vater und eine „arische“ Mutter hat. Als „Mischling“ gilt Kurt in der national­sozialistischen Gesellschaft als minderwertig. „Die Angst erfüllte meinen Alltag“, erzählt er später. Am Arbeitsplatz bleibt er alleine. Er ist gezwungen, ein Leben als Einzelgänger zu führen. 

Gemeinsam gegen Einsamkeit und Unterdrückung

Sein älterer Bruder Robert versucht, Kurt zu helfen: Er nimmt ihn mit in den Wienerwald, damit er Teil der „Mischlingsliga Wien“ wird. So kommt Kurt in Kontakt mit anderen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die unter ähnlichen Problemen leiden: Als „Mischlinge“ stehen sie im Nationalsozialismus unter einem hohen Druck. Sie werden zwar nicht in Konzentrationslager deportiert, aber auf viele Weise diskriminiert. Sie sind vom Militärdienst ausgeschlossen – da das Regime mörderische Kriege führt, könnte das sogar ein Vorteil sein. Doch „Mischlinge“ dürfen auch nicht studieren und sie dürfen weder „Arier“ noch Juden heiraten. Die Nazis wollen ihnen jede Zukunft versperren.

Jugendliche mit einem jüdischen und einem „arischen“ Elternteil werden im Nationalsozialismus diskriminiert. © Wikimedia

Um nicht völlig alleine zu sein, vernetzen sich die Jugendlichen in einer eigenen Organisation. Sie nennen sie zuerst „Sonderabteilung NN“, später „Mischlingsliga“. Das ist natürlich verboten und gefährlich. Das Hauptquartier liegt versteckt im Wienerwald in einer Höhle am Höllenstein. Von der Endhaltestelle der Straßenbahn sind es zweieinhalb Stunden zu Fuß. Dort verbringen die Jugendlichen Zeit miteinander, machen Sport und knüpfen Freundschaften. Bald gibt es sogar einige Liebespaare. Heimlich lesen die Jugendlichen gestohlene Bücher, die von den Nazis verboten wurden.

Widerstand: Züge anhalten, Maschinen sabotieren

Die Treffen dienen nicht nur dem gegenseitigen Kennenlernen: Bei Ausflügen in den Wienerwald planen und üben sie Aktionen gegen die Nazis. Sie entwickeln kreative Taktiken. Einmal sabotieren sie die Badner Bahn, in der die Arbeiter:innen frühmorgens zur Fabrik fahren: Von einer Brücke aus werfen sie einen Kupferdraht über die Oberleitung des Zuges, um einen Kurzschluss zu verursachen, der die Züge der Strecke zum Stillstand bringt. Ein anderes Mal schleifen sie nachts heimlich Messgeräte für den Bau von Kampfflugzeugen ab. Es ist nur ein Zehntel eines Millimeters, aber damit machen sie alle Motoren unbrauchbar, die in den folgenden vierzehn Tagen erzeugt werden. So stören sie die Waffenproduktion für das Deutsche Reich. Sie wollen dabei nicht nur Hitlerdeutschland im Krieg gegen die Alliierten schwächen, sondern auch auf ihren Protest aufmerksam machen.  

Die Jugendlichen sabotieren die Motoren deutscher Kampfflugzeuge. © Wikimedia

Die Jugendlichen leben mit dem ständigen Risiko, entdeckt und verhaftet zu werden. Anfangs gehören zur Gruppe auch viele jüdische Jugendliche, doch die werden nach und nach in Konzentrationslager verschleppt und ermordet. Ständig verliert die Organisation Mitglieder. 1944 wird auch Kurt Pollak verhaftet. Als die Nazis ihn verhören, bricht er völlig zusammen: Er unterschreibt sein Geständnis, ohne es zu lesen. In Gefangenschaft überlebt er das letzte Kriegsjahr.

Hitlerdeutschland endet, doch die Erfahrungen aus der Nazizeit belasten Kurt sein Leben lang. In Gedichten verarbeitet er seine Erinnerungen: als „Gespinst, das [s]eine Seele knebelt“. 

Zeitstrahl 1940 © wasbishergeschah.at