Eine Malerei aus dem Jahr 1886 zeigt Frauen, die in einer Fabrik an Webstühlen stehen.  © Wikimedia.

Der erste Frauen­streik 

in Wien

Die Fabriksarbeiterin Amalie Ryba wird entlassen, weil sie sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzt. 700 Arbeiterinnen solidarisieren sich: Es kommt zum ersten organisierten Frauenstreik in Wien. 

1893 in Wien: Die Frauen in der Gumpendorfer Appretur-Fabrik „Heller und Sohn“ arbeiten dreizehn Stunden am Tag. Zwischen den Maschinen hat es 40 Grad, manchmal sogar 50. Trotz der harten Arbeit reicht der Lohn kaum zum Überleben. Kündigungsschutz, Mutterschutz oder Urlaub haben sie keinen. Selbst an Feiertagen müssen sie arbeiten. Das ist der Alltag von Arbeiterinnen in Wiens Textilfabriken der 1890er-Jahre.

Amalie Ryba ist eine dieser Frauen. Mit gerade einmal 17 Jahren schuftet sie täglich bei „Heller und Sohn“. Gleichzeitig interessiert sie sich für die sozialdemokratische Arbeiter:innenbewegung und engagiert sich: In der Fabrik versucht sie, ihre Arbeitskolleginnen dazu zu motivieren, dass sie für ihre Rechte einstehen. Sie schlägt den Frauen vor, sich gemeinsam in einer Gewerkschaft zu organisieren. Ein Vorgesetzter bekommt das mit – und entlässt Amalie Ryba sofort. 

Amalie Ryba setzt sich für die Rechte von Arbeiterinnen ein – und wird deshalb entlassen. Das Bild zeigt sie Jahre später. © Wikipedia, CC0.

Nach Amalie Rybas Entlassung: 700 Frauen streiken

Innerhalb von nur zwei Tagen solidarisieren sich 700 Frauen aus verschiedenen Fabriken mit Amalie Ryba. Aus Protest gehen sie nicht mehr zur Arbeit. Gemeinsam fordern sie, dass Amalie Ryba ihre Stelle zurückbekommt. Außerdem fordern sie die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit von 13 auf zehn Stunden, einen höheren Lohn und eine „anständige Behandlung“ am Arbeitsplatz.  

 Der Frauenstreik ist für Wien etwas Neues. Darüber, wie er zu bewerten ist, wird heftig diskutiert:  Zeitungen aus verschiedenen Lagern befürworten oder verunglimpfen die Arbeiterinnen. Teile der Bevölkerung unterstützen die Frauen mit Lebensmittel- oder Kleiderspenden, weil diese während des Streiks ihren Lohn nicht ausbezahlt bekommen. Schließlich ist der Protest erfolgreich: Die Fabrikbesitzer knicken ein und erfüllen die Forderungen der Frauen. Amalie Ryba bekommt ihre Stelle zurück und engagiert sich weiterhin politisch.  26 Jahre später sitzt sie dann – inzwischen als Amalie Seidl – im österreichischen Nationalrat. Als Sozialdemokratin setzt sich die einstige Fabriksarbeiterin auch dort für die Rechte von Frauen ein.

 

Amalie Seidl gehört 1919 zu den ersten weiblichen Abgeordneten im österreichischen Nationalrat. © Wikipedia
Zeitstrahl mit historischen Ereignissen - 1893 ist hervorgehoben. © wasbishergeschah.at