Vor dem besetzten Haus stehen viele Polizist:innen in Uniform mit weißen Helmen. An der Fassade des Hauses befinden sich Transparente und Graffitis. Auch auf einem Absperrgitter vor dem Haus sind Plakate angebracht. Im Hintergrund stehen Zuschauer:innen und weitere Polizist:innen mit Schilden.  © Wikimedia, Emanuel Sanchez de la Cerda, Räumung der Mühlfeldgasse 12, 2014 (CC-BY-2.0).

Mit Pizza

gegen Immobilien­spekulation

Eine Wiener Immobilienfirma lässt 2011 Punks in ein Haus einziehen. Das soll Altmieter:innen vertreiben. Doch die Punks verbünden sich mit ihnen und gründen die „Pizzeria Anarchia“. 

Wien, Juli 2014: Die Polizei rückt an, um das besetzte Haus in der Mühlfeldgasse 12 zu räumen – mit Panzerwagen, Wasserwerfern und einem Helikopter. Doch das ist schwierig: Die Besetzer:innen haben sich im Haus verschanzt und viele der Zuschauer:innen auf der Straße unterstützen die Besetzung. Erst nach mehreren Stunden kann die Polizei das Haus stürmen.

Vermieter ohne Skrupel

Immobilienspekulanten sind ein großes Problem in Städten: Sie lassen Häuser als „Anlage“ unbewohnt; oder sie sanieren zwar die Wohnungen, verlangen dann aber viel höhere Mieten von den Bewohner:innen. 2011 versucht das die Wiener Castella GmbH mit Wohnungen in der Mühlfeldgasse im Bezirk Leopoldstadt.

Die Castella GmbH will das Haus in der Mühlfeldgasse sanieren und dafür die Altmieter:innen loswerden. Die haben aber keine Lust auszuziehen und die Firma kann ihre Mietverträge nicht kündigen. Sie versucht es daher mit üblen Tricks. Sie verstopft die Kanalisation und dreht das Gas ab. Ein paar ältere Leute bleiben trotzdem. Sie wissen: Sie werden nie wieder so günstig wohnen können wie hier mit ihren alten Mietverträgen.

„Pizzeria Anarchia“

Die Castella GmbH gibt nicht auf. Die Firma wirbt ein paar Punks an, die über den Winter im Haus wohnen sollen. Sie sollen die älteren Leute so stören, dass sie ausziehen und die Sanierung beginnen kann. Weil die Punks noch kein Winterquartier haben, nehmen sie das Angebot an. Trotzdem geht der Plan der Castella GmbH nicht auf: Die Punks freunden sich mit den Altmieter:innen und Nachbar:innen an. Sie besetzen die alte Pizzeria im Erdgeschoss des Hauses und gründen die „Pizzeria Anarchia“. Im Steinofen backen sie Pizza gegen freiwillige Spenden.
© Wikimedia, Harald Schilly, Fassade der Mühlfeldgasse 12 (CC-BY-SA-3.0).
„Pizza bleibt“ wird zum Slogan der Hausbesetzung in der Mühlfeldgasse 12.

Alte und neue Bewohner:innen des Hauses sind gemeinsam dagegen, dass mit Wohnraum spekuliert wird. Die Castella GmbH ist darüber entsetzt. Nach über zweieinhalb Jahren kann sie einen Räumungsbescheid erwirken. 1.700 Polizist:innen rücken mit schwerem Gerät an, um das Haus zu räumen. Schließlich können sie das Haus stürmen und es der Castella GmbH übergeben. Die Punks nehmen sie fest.

© Wikimedia, Otto Normalverbraucher, Räumung der Mühlfeldgasse 12, 2014 (CC-BY-SA-4.0).
Die öffentliche Räumung bringt mediale Aufmerksamkeit für das Problem der Immobilienspekulation.

Die Polizeiaktion bringt der „Pizzeria Anarchia“ große Aufmerksamkeit in den Medien. Das erzeugt öffentlichen Druck. Nun kann die Castella GmbH niemanden mehr durch gemeine Tricks aus dem Haus vertreiben. Noch Jahre nach der Räumung bewohnt eine Altmieterin ihre Wohnung über der ehemaligen „Pizzeria Anarchia“.

Zeitstrahl 2013 © wasbishergeschah.at

Weiterführend:

Martina Nußbaumer, Werner Michael Schwarz (Hg.), Besetzt. Kampf um Freiräume seit den 70ern, Wien 2012.