Ein zweimastiges Schiff, auf dem die Silhouetten von Menschen zu erkennen sind, ist umgeben von Eis und Schnee. © Wikipedia

Fakenews unter dem Polarstern:

Das eisfreie Meer am Nordpol

Im 19. Jahrhundert ist die Arktis noch ein unerforschtes Gebiet. Die Medien verlangen nach Sensationen, ehrgeizige Forscher wollen sie ihnen liefern. Sie verkünden Ergebnisse, die sie nicht haben. 

1861 im äußersten Norden der Erde. Der Arktisforscher Isaac Hayes und sein Team kämpfen sich durch die eisige Schneelandschaft westlich von Grönland. So weit nördlich war noch kein Europäer vor ihnen. 

Ein großer Teil der Mannschaft ist wegen der widrigen Bedingungen bereits umgekehrt, in südliche Richtung zum Schiff zurück. Hayes und der Rest seines Teams versuchen es hingegen weiter. Sie führen Messungen durch und machen Aufzeichnungen. Die Forscher sind von der Hoffnung getrieben, dass sie ihre Theorie bestätigen können: ein eisfreies Nordpolarmeer.

Damals ist noch kein Mensch bis zum Nordpol vorgedrungen. Niemand weiß, dass dieses Gebiet dauerhaft von Eis bedeckt ist. Das Unbekannte fasziniert. Seit Jahrhunderten wuchern die Spekulationen, was am Nordpol sein könnte. Manche behaupten, dort gibt es einen Vulkan. Andere glauben, am Nordpol muss die Erdachse sichtbar sein. Schon im 16. Jahrhundert fertigt der Geograf Gerhard Mercator eine Karte an, die ein eisfreies Polarmeer mit einer Insel am Nordpol zeigt.

Die Karte von Gerhard Mercator stellt den Nordpol als biblisches Land dar, aus dem vier Flüsse entspringen. © Wikipedia

„Küsten ferner Inseln“

 Auch Arktisforscher befeuern diverse Mythen. Der Entdecker Elisha Kane behauptet, dass er bereits bei einer Expedition 1854 im Nordwesten von Grönland ein offenes Nordpolarmeer gefunden hat. Hayes bestätigt das nach seiner Expedition 1861. Beide haben keine Beweise. Unverdrossen veröffentlichen sie eine Karte, in die sie ein „offenes Polarmeer“ einzeichnen. Hayes geht noch weiter. Er träumt von „Küsten ferner Inseln, wo Menschen einer unbekannten Rasse leben“. All das erwartet er am Nordpol.

Kanes und Hayes veröffentlichen eine Karte, auf der sie das Polarmeer als offen eintragen. © Wikipedia

Arktis-Expeditionen: Lieblinge der Medien

Der Arktisforscher weiß: Sachlich nüchterne Reiseberichte schaffen es nicht in die Zeitungen. Wenn die Forschungsergebnisse keine Sensation hergeben, muss man eben spekulieren. Kane und Hayes sind damals Lieblinge der Presse. Auch deutschsprachige Zeitungen berichten ausführlich. Die „Meraner Zeitung” widmet der Expedition von Hayes dramatische Schilderungen: Er besteigt „den Gipfel einer zerrissenen Klippe“ und erkennt „weit im Norden den weißen Gipfel eines hohen Berges“. Die Südtiroler Zeitung ist überzeugt: Vieles deutet auf ein eisfreies Polarmeer hin.

© wasbishergeschah.at

Auch Wissenschaftler begeistern sich dafür, was die beiden Polarforscher über ihre Expeditionen in den Norden erzählen. Viele glauben ihnen und halten ein eisfreies Polarmeer für möglich. 

Hayes liefert zwar stimmige Bilder für die Presse und bringt der Wissenschaft Aufmerksamkeit. Bereits 1876 widerlegt aber der Seefahrer George Nares die Behauptungen von Hayes und Kanes. Er will eigentlich zum Nordpol und erwartet auf dem Weg dorthin ein eisfreies Polarmeer. Stattdessen stößt er auf unendliche Eismassen.

Isaac Hayes verbreitet die Fake News über ein eisfreies Nordpolarmeer. © Wikipedia