Ein Gerichtssaal mit zwei Kronleuchtern, Tischbänken und Sesseln aus Holz.  © Wikimedia

„Männlich im Sinne des Gesetzes“ – 

Geschlecht vor Gericht

Entweder Mann oder Frau. Bis vor kurzem haben Staat und Behörden von jedem Menschen eine eindeutige Zuordnung verlangt. Abweichungen haben sie stets blockiert, so 1931 in Deutschland bei einem Prozess wegen Zuhälterei.

Berlin 1931: Ein Händler verkauft ein Paar schicker Damenschuhe – doch er wird dabei um sein Geld betrogen. Empört wendet er sich an die Polizei. Über den Menschen, der die Tat begangen hat, berichtet er Folgendes: Anton Sander arbeitet als Tänzerin und „Stimmungsmacherin“ in einem Berliner Nachtclub. Zum Tanzen zieht sich Sander Frauenkleider an, vielleicht sogar die gestohlenen Damenschuhe. Darüber hinaus zwingt Sander als Zuhälter die eigene Ehefrau, gegen Bezahlung mit fremden Männern Sex zu haben.

Die Vorwürfe wiegen schwer. Die Polizei verhaftet Sander und sucht nach Beweisen. Das Gericht geht davon aus, dass die Geschichte stimmt: Sander ist „der Zuhälter“, Ehefrau Lissy ist „die Prostituierte“. Als Zuhälter droht Sander ein Jahr Gefängnis. Um das zu verhindern, versucht die Verteidigung die Rollenvorstellungen über Mann und Frau zu nützen.

Um einer Verurteilung zu entgehen, plädiert Sander für „nicht ‚männlich‘ im Sinne des Gesetzes“. © Wikimedia

Vorschriften über das Geschlecht

Eine Person kann damals entweder als „Mann“ oder als „Frau“ angeklagt werden. Andere Möglichkeiten sind nicht vorgesehen. Auch für die Straftat der „Zuhälterei“ ist ein Geschlecht festgelegt: Ein Zuhälter ist laut Gesetz immer eine „männliche Person“.

Sanders Anwalt argumentiert daher: Sander ist „nicht ‚männlich‘ im Sinne des Gesetzes“. Vielmehr ist „der Grundzug seines Wesens ein weiblicher“! Als ‚Beweise‘ führt der Verteidiger an: die Frauenkleider, den Beruf als Tänzerin und überhaupt Sanders ganzen Charakter. Die angeklagte Person kann somit gar kein Zuhälter sein. Die Richter finden aber, dass Sanders Körper männlich aussieht. Sie wollen es mit einem „Mann“ zu tun haben, denn den können sie als Zuhälter verurteilen.

Ein Jahr verbringt Sander im Männergefängnis. Im Herbst 1932 kommt er frei. Wenige Monate später beginnt die Herrschaft des Nationalsozialismus. Die Nazis verfolgen alle, die nicht ins Bild der „deutschen Familie“ passen. Was in dieser Zeit mit Sander passiert, wissen wir allerdings nicht. 

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