Wien am 20. März 1920: In einem Kinosaal an der Landstraßer Hauptstraße wird es dunkel. Erste Bilder flackern über die Leinwand, die Kinokapelle beginnt zu spielen. Plötzlich dringen laute Rufe in den Saal: Zweihundert Demonstranten haben sich vor dem Gebäude versammelt und fallen ins Kino-Foyer ein. Sie fordern: Die Filmvorführung soll sofort gestoppt und die Filmplakate abgerissen werden, weil der Film „unsittliche“ Szenen enthält. Sonst werden sie Gewalt anwenden.
Das Kino ist nach dem Ersten Weltkrieg eine beliebte Freizeitbeschäftigung vieler Arbeiter:innen. In den 1920ern gibt es in Wien hunderte Kinos. Tausende strömen jede Woche dorthin. In Österreich liegt die Wirtschaft am Boden und der Schrecken des Krieges ist noch nicht vergessen. Da bietet das Kino eine willkommene Möglichkeit, dem Alltag für kurze Zeit zu entkommen.
Dass das Kino so beliebt ist, gefällt nicht allen: Linke und Rechte empören sich laut über den „Kinoskandal“. Als große Gefahr für die Sittlichkeit gilt, dass der Kinoraum dunkel sein muss und die Sitze noch enger beieinander stehen als im Theater. Auch nackte Körper und erotische Szenen gibt es auf der Kinoleinwand zu sehen. Noch schlimmer: Vielleicht gefällt es den Leuten auch noch!
Trotz der Proteste kann sich das bewegte Bild durchsetzen. Noch heute diskutieren wir über seine Reize und Gefahren oder debattieren, ob es Jugendliche zu stark beeinflusst. Dabei geht es aber inzwischen nicht mehr um Kinofilme – sondern oft um Videos auf TikTok.
Verena Moritz/Karin Moser/Hannes Leidinger (Hg.), Kampfzone Kino. Film in Österreich 1918–1938, Wien 2008.