Drei prächtige, goldene Bilder hängen über einem Altar. Auf dem linken Bild sind zwei Engel zu sehen. Das mittige Bild zeigt Jesus Christus auf einem Thron. Ein betender Mann lehnt sich auf ihn. Über den beiden schwebt ein Engel, der eine Feder in der Hand hält. Im rechten Bild steht Karl Lueger zwischen einem Engel und einer knienden Frau. Die Frau hält ein Modell der Karl-Borromäus-Kirche in den Händen. © Wikimedia, Presbyterium der Karl-Borromäus-Kirche am Wiener Zentralfriedhof, 2014.

Mer­chan­dise für einen Anti­semi­ten: 

Personen­kult um Wiens Bürger­meister Karl Lueger

Der Wiener Bürgermeister Karl Lueger baut um 1900 einen Personenkult um sich auf. Sein politischer Erfolg basiert auf Merchandising – und Antisemitismus.

Ob Trump-Shirts, Bolsonaro-Trikots oder „Höcke, Höcke“-Rufe auf AfD-Wahlpartys – Personenkult steht unter Rechten hoch im Kurs. Neu ist das nicht. Schon Wiens Bürgermeister Karl Lueger lässt sich um 1900 geradezu religiös verehren.

Wie Trump und Bolsonaro lässt Lueger Merchandise von sich herstellen: Sein Name und Gesicht werden auf Pfeifen, Münzen und Gläser geprägt. Es gibt den „Lueger-Hut“ und „Lueger-Brot“. Die städtebaulichen Großprojekte der Zeit verknüpft er mit seiner Person: Die neu geschaffene Wiener Straßenbahn wird „Dr. Luegers ‚neue Elektrische‘“ genannt. Dabei ist auch egal, ob die Projekte tatsächlich auf seine Regierung zurückgehen. Über dem Haupttor des 1874 errichteten Wiener Zentralfriedhofs steht bis heute: „Erbaut unter dem Bürgermeister Doktor Karl Lueger; im Jahre 1905.“ Das Branding ist erfolgreich. Wiens Aufstieg zur modernen Großstadt wird bis heute mit dem Namen Lueger verbunden.

Frauen bekamen auf Bällen solche Ballspenden geschenkt. © Wien Museum, Birgit und Peter Kranz, Damenspende vom Ball des Freundschafts-Verbands „Lueger" in Form eines Büchleins: Wien in Wort und Bild, 1905, CC BY 4.0.

Erfolg durch Antisemitismus

Hass auf Juden ist in Wien ohnehin weit verbreitet. Karl Lueger kann als erster diesen Hass in großen politischen Erfolg ummünzen. Er mobilisiert seine Wähler, indem er all ihre Frustration und Wut auf Jüdinnen und Juden als gemeinsamen Feind lenkt. Er macht sich zur zentralen Figur eines antisemitischen Glaubensbekenntnisses: „Vater Lueger, der Du wohnst in Wien, gelobt sei Dein Name, beschütz unser christliches Volk, […], erlöse uns von dem Juden-Übel. Amen.“

In seinen Reden droht Lueger Juden und Jüdinnen Gewalt an: „Wir in Wien sind Antisemiten, aber zu Mord und Totschlag sind wir gewiss nicht geschaffen. Wenn aber die Juden unser Vaterland bedrohen sollten, dann werden auch wir keine Gnade kennen.“ Ermordet wird Wiens jüdische Bevölkerung zwar unter Lueger (noch) nicht. Er macht ihr aber das Leben möglichst schwer. Öffentliche Aufträge werden nicht mehr an jüdische Firmen vergeben. Jüdische Beamte werden nicht befördert und selten eingestellt.

Karl Lueger ist um 1900 einer der am meisten gemalten Männer Österreich-Ungarns. Die Gemälde ähneln häufig den Darstellungen der Habsburgerkaiser. © Wikimedia, Hermann Nigg, Bildnis des Karl Lueger (1844-–1910) in historischem Kostüm und mit Gnadenmedaille, 1876.

Wie heutige Populisten behauptet Lueger, den „wahren“ Willen des Volkes zu vertreten. Unter „Volk“ versteht er allerdings nur die christliche und deutschsprachige Bevölkerung Wiens. Die Feindbilder können sich dabei zwar ändern. Aber Lueger braucht für seine Politik immer ein Feindbild: 1887 kritisiert er in einer Rede noch die Ausbeutung der Tschechen durch ungarische „Magyar-Kapitalisten“. Später hetzt er gegen tschechische Arbeiter.

Lueger hat eine menschenfeindliche Politik betrieben. Trotzdem sehen ihn auch 2023 viele Menschen in Wien positiv. Sie wollen den „verdienstvollen Bürgermeister“ vom „politischen Antisemiten“ trennen. Einen „Lueger-Hut“ trägt jetzt niemand mehr – aber der Kult wirkt bis heute.

Luegers Beerdigung ist ein Großereignis – tausende Menschen ziehen mit dem Leichenzug vom Wiener Rathaus zum Zentralfriedhof. © Wien Museum, Wilhelm Müller, Leichenbegängnis des Bürgermeisters Dr. Karl Lueger am 14.3.1910: Der Leichenwagen am Weg zum Zentralfriedhof, 1910.
Zeitstrahl 1900 © wasbishergeschah.at