Zahlreiche Kinder stehen in einer Gruppe beieinander und schauen zur fotografierenden Person hoch. Vorne stehen in mehreren Reihen Mädchen in Kleidern, dahinter Buben. In den hintersten Reihen stehen Erwachsene in weißen Kitteln und mit weißen Hauben.  © ÖNB Bildarchiv, Kinder am Steinhof nach ihrer Befreiung 1945.

Schuld ohne Strafe:

In der NS-Zeit ermordet die Spitals­ärztin Marga­rethe Hübsch kranke Kinder

Hübsch arbeitet von 1941 bis 1942 als Oberärztin am Spiegelgrund in Wien. In der „Heilanstalt“ werden unter ihrer Aufsicht systematisch Kinder getötet. Trotzdem wird sie nach Kriegsende vor Gericht freigesprochen.

28. August 1941: Die sechsjährige Wilma wird in die Kinderfachabteilung am „Spiegelgrund“ verlegt. Wilma ist blind und kann nach einer Fiebererkrankung nicht stehen oder gehen. Die Ärztin Margarethe Hübsch untersucht Wilma und stellt Schäden am Gehirn fest.
Ein Jahr später sind sich die Ärzt:innen einig, dass es für Wilma keine Aussicht auf Genesung gibt. Hübsch sendet den Befund nach Berlin – ein Todesurteil für Wilma. Nach vier Monaten stirbt das kleine Mädchen. Wie bei so vielen Kindern lautet die offizielle Todesursache: Lungenentzündung.
Doch in Wahrheit haben Ärzt:innen und Pflegepersonal Wilma ermordet.

2002 werden Überreste von hunderten im Nationalsozialismus ermordeten Kindern am Wiener Zentralfriedhof bestattet. © Wikimedia, Haeferl, Gedenktafel für die am Spiegelgrund ermordeten Kinder am Zentralfriedhof, 2015 (CC-BY-SA-3.0).

Margarethe Hübsch am „Spiegelgrund“

In der Kinderfachabteilung ist Hübsch die stellvertretende Leiterin unter dem Anstaltsdirektor. Mehrmals im Monat werden Kinder mit geistiger oder körperlicher Beeinträchtigung hierhergebracht. Zusammen mit ihren Kolleg:innen untersucht Hübsch die Kinder und erstellt ein Gutachten. In dem Gutachten hält sie fest, ob die Kinder „heilbar“ sind. Wenn sie ein Kind für „unheilbar“ hält, schickt Hübsch eine Meldung nach Berlin an den Reichsausschuss, einer Tarnorganisation der Kanzlei Hitlers. Kommt aus Berlin der Tötungsbefehl, vergiften Krankenschwestern die Kinder mit Schlafmitteln. Zwischen 1940 und 1945 werden auf diese Weise etwa 800 Kinder am Spiegelgrund ermordet.

Nach den Jahren am „Spiegelgrund“ arbeitet Hübsch bis Kriegsende im Hauptgesundheitsamt der Stadt Wien. Das Amt ist eine Zentrale der Medizinverbrechen. Hier werden Karteien über „minderwertige“ Menschen angelegt, um sie gezielt verfolgen und ermorden zu können.

Nach Kriegsende kommt es zum Prozess

1946 klagt ein Gericht Hübsch und andere Ärzt:innen an. Zeugenaussagen belasten Hübsch massiv. Sie behauptet aber, von all den Morden nichts bemerkt zu haben. Und das Gericht entscheidet, dass Beweise für ihre Verantwortung fehlen. Hübsch wird in allen Anklagepunkten freigesprochen. Bereits zwei Jahre später arbeitet sie wieder in ihrer eigenen Praxis als Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie. Sie lebt bis 1983 ungestört in Wien.

Vor Gericht behauptet Margarethe Hübsch, dass sie von den Morden nichts mitbekommen hat. © Anno, 16.7.1946, Angeklagte Ärzt:innen von Steinhof.

Maximilian Langbrugger

Der Beitrag wurde im Rahmen eines Seminars im Masterstudium Zeitgeschichte und Medien an der Universität Wien erarbeitet.

Zeitstrahl 1942 © wasbishergeschah.at

Weiterführend:

Herwig Czech, Der Spiegelgrund-Komplex: Kinderheilkunde, Heilpädagogik, Psychiatrie und Jugendfürsorge im Nationalsozialismus, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 25/1 (2014), 194–219.

Herwig Czech/Wolfgang Neugebauer/Peter Schwarz, Der Krieg gegen die „Minderwertigen“. Zur Geschichte der NS-Medizin in Wien, Wien 2018.