Nach dem Krieg ist die Versorgungslage schlecht. Lebensmittel werden rationiert ausgegeben, Kartoffel sind nur im Schleichhandel erhältlich. Die Regale sind leer und die Preise hoch. Viele Familien können sich keine ordentliche Kleidung leisten: Im Winter besuchen die Kinder die Schule mit blaugefrorenen Beinen ohne Strümpfe. Ein paar Kinder haben nicht einmal Schuhe. Diese Situation treibt die Menschen immer wieder auf die Straße. Bei Demonstrationen plündern sie Geschäfte und Lager.
Im Sommer 1920 spitzt sich die Lage zu. Obwohl die Obstbäume in diesem Jahr gut tragen, verlangen die Händler hohe Preise für Kirschen. Das wollen sich einige Frauen nicht gefallen lassen. Sie kündigen Demonstrationen an und drohen mit Boykott, wenn die Händler die Preise nicht senken.
Wenige Tage später machen sie ernst. Am Kaiser-Josef-Platz wüten hunderte Frauen, bis die ersten Händler die Preise senken, um ihre Ware zu retten. Dieser Erfolg spricht sich schnell herum. Die Demonstration greift auch auf andere Märkte in Graz über. Es kommt zu regelrechten Salatschlachten.
Die Frauen ziehen in die Innenstadt, wo sich ihnen Jugendliche, Arbeiter:innen und Arbeitslose anschließen. Immer wieder halten Demonstrierende die Straßenbahnen an, bis schließlich der Verkehr eingestellt wird. Eine Gruppe zieht vor das Redaktionsgebäude der sozialdemokratischen Parteizeitung, wo sie mit Wasserspritzen vertrieben wird. Nachmittags nehmen Deutschnationale überhand, die antisemitische Losungen verbreiten. Die Proteste verlagern sich in die Murvorstadt, wo Geschäfte von Jüdinnen und Juden geplündert werden.
Erst als diese Forderung erfüllt wird, zerstreut sich die Demonstration.
In den Folgetagen sprechen organisierte Frauen bei den Landesräten und im Ernährungsamt vor. Daraufhin wird eine Kommission zur Preisregelung eingerichtet. Wenige Tage später werden die Preise für Obst und Gemüse genau festgelegt. Einen derartigen „Kirschenrummel“ will man künftig verhindern.
Petra Berger, Frauen in Hunger- und Brotkrawallen am Beispiel des Grazer „Kirschenrummels“. Diplomarbeit, Universität Graz 1994.