Holzschnitt, auf dem auf der linken Seite protestierende Männer und Frauen und auf der rechten Seite Polizisten, darunter auch berittene Polizisten, mit Helmen zu sehen sind. © Graz Museum

Randale am Markt:

Als in Graz die Kirschen flogen

Aktuell müssen viele Menschen beim Einkaufen sparen und sind von Armut gefährdet, denn die Preise steigen und steigen. Vor 100 Jahren haben steigende Obstpreise sogar eine Revolte ausgelöst.

7. Juni 1920, Graz: Auf den Märkten bricht das Chaos aus. Kirschen zerplatzen am Boden. Hunderte Frauen reißen Marktstände nieder, werfen mit Obst und Gemüse und plündern Lagerräume. 

Nach dem Krieg ist die Versorgungslage schlecht. Lebensmittel werden rationiert ausgegeben, Kartoffel sind nur im Schleichhandel erhältlich. Die Regale sind leer und die Preise hoch. Viele Familien können sich keine ordentliche Kleidung leisten: Im Winter besuchen die Kinder die Schule mit blaugefrorenen Beinen ohne Strümpfe. Ein paar Kinder haben nicht einmal Schuhe. Diese Situation treibt die Menschen immer wieder auf die Straße. Bei Demonstrationen plündern sie Geschäfte und Lager.

Im Sommer 1920 spitzt sich die Lage zu. Obwohl die Obstbäume in diesem Jahr gut tragen, verlangen die Händler hohe Preise für Kirschen. Das wollen sich einige Frauen nicht gefallen lassen. Sie kündigen Demonstrationen an und drohen mit Boykott, wenn die Händler die Preise nicht senken. 

Obwohl die Obstbäume gut tragen, verlangen die Händler 1920 hohe Preise. © Wien Museum

Mit wütenden Frauen ist nicht gut Kirschen essen

Wenige Tage später machen sie ernst. Am Kaiser-Josef-Platz wüten hunderte Frauen, bis die ersten Händler die Preise senken, um ihre Ware zu retten. Dieser Erfolg spricht sich schnell herum. Die Demonstration greift auch auf andere Märkte in Graz über. Es kommt zu regelrechten Salatschlachten.

Die Frauen ziehen in die Innenstadt, wo sich ihnen Jugendliche, Arbeiter:innen und Arbeitslose anschließen. Immer wieder halten Demonstrierende die Straßenbahnen an, bis schließlich der Verkehr eingestellt wird. Eine Gruppe zieht vor das Redaktionsgebäude der sozialdemokratischen Parteizeitung, wo sie mit Wasserspritzen vertrieben wird. Nachmittags nehmen Deutschnationale überhand, die antisemitische Losungen verbreiten. Die Proteste verlagern sich in die Murvorstadt, wo Geschäfte von Jüdinnen und Juden geplündert werden.

Die erste Salve fällt

Die Wachebeamten sind mit der Situation völlig überfordert. Deshalb erhalten sie Verstärkung von der Gendarmerie, die mit Maschinengewehren anrückt. Die tobende Menge wehrt sich mit Steinwürfen gegen die Straßenräumung. Jetzt eröffnen Gendarmen das Feuer. Sie töten über ein Dutzend Menschen. Auch ein 18-jähriges Mädchen stirbt. Trotzdem bricht der Protest nicht ab. 
Die Menge verlangt die Freilassung der Verhafteten.

Erst als diese Forderung erfüllt wird, zerstreut sich die Demonstration.

In den Folgetagen sprechen organisierte Frauen bei den Landesräten und im Ernährungsamt vor. Daraufhin wird eine Kommission zur Preisregelung eingerichtet. Wenige Tage später werden die Preise für Obst und Gemüse genau festgelegt. Einen derartigen „Kirschenrummel“ will man künftig verhindern.

Zeitstrahl 1920 © wasbishergeschah.at

Weiterführend:

Petra Berger, Frauen in Hunger- und Brotkrawallen am Beispiel des Grazer „Kirschenrummels“. Diplomarbeit, Universität Graz 1994.