An der Ecke einer Bühne, auf der ein Mikrophon steht, sitzen und stehen Jugendliche. Sie lachen und klatschen. Der Saal ist voller junger Leute.  © Heinz Riedler, Wien Museum.

Kampf um Freiraum:

Die Besetzung der Arena 1976

Derzeit müssen immer wieder Konzerte in der Wiener „Arena“ abgesagt werden. Die Nachbarschaft beschwert sich über den Lärm. Das ist neu, denn seit kurzem gibt es Wohnhäuser, wo früher Industrie war – und ein Freiraum, den junge Menschen 1976 für alternative Kultur erkämpft haben.

27. Juni 1976 in einem Industriegebiet am Stadtrand von Wien: Student:innen und Künstler:innen besetzen einen Teil des ehemaligen Schlachthofs in St. Marx. Der soll abgerissen werden, denn die Firma Schöps will dort ein Zentrum für Textilhandel aufbauen. 

Die Aktivist:innen haben andere Pläne für das Areal: Durch Flugblätter und Telefonketten rufen sie dazu auf, in den Schlachthof zu kommen und an alternativen Kulturveranstaltungen teilzunehmen. An einem Sommerabend strömen hunderte Menschen in die „Arena“, wo Musik gemacht und Theater gespielt wird. 40 Aktivist:innen bleiben die ganze Nacht. 

Vierzig Aktivist:innen bleiben über Nacht im alten Schlachthof. © Heinz Riedler, Wien Museum.
In Wien gibt es wenig Freiraum für junge Menschen und alternative Kultur. Die Besetzer:innen fordern daher: Anstatt den Schlachthof zu verkaufen, soll die Stadt das Areal jungen Menschen für ein Kulturzentrum überlassen. Dieses Zentrum möchten sie selbst verwalten.
„Wir haben die Arena besetzt. Kommt alle zu uns!“

In den nächsten Wochen besuchen tausende Menschen die Arena. Das Areal ist groß. Es gibt mehrere Hallen, kleinere Gebäude und viele Grünflächen. Das Programm ist bunt: Theater, Kabarett, Konzerte, Filme, Lesungen, Vorträge und Diskussionen wechseln sich ab. Sogar Leonard Cohen tritt nach einem Konzert in Wien spontan in der Arena auf. Immer mehr Medien berichten über die Besetzung. Die Aktivist:innen versuchen, einen möglichst offenen Ort zu schaffen: Sie organisieren Essen für Menschen, die wenig Geld, keine Arbeit oder keine Wohnung haben. So kommen auch Jugendliche in die Arena, die aus Heimen geflüchtet sind. Wenn es Streit gibt, versuchen Sozialarbeiter:innen vor Ort ohne Gewalt zu schlichten. 

Die Aktivist:innen kochen gratis Essen für alle, die es sich nicht leisten können. © Heinz Riedler, Wien Museum.

Am Verhandlungstisch

Die jungen Menschen in der Arena wählen Vertreter:innen und verhandeln mit der Stadtregierung. Die will den Schlachthof weiterhin verkaufen, schlägt den Besetzer:innen aber einen Tausch vor. Sie sollen für ihre Kulturaktivitäten ein anderes Gelände erhalten – ebenfalls einen ehemaligen Schlachthof, der nicht mehr genutzt wird. Die Aktivist:innen lehnen das ab: Das angebotene Gelände ist ihnen zu klein. Die Verhandlungen führen daher zu keiner Einigung. Im September 1976 schwenkt die Stadt auf Härte ein: Sie schaltet den Aktivist:innen Strom und Wasser ab. Immer wieder kommt die Polizei. Im Oktober geben die Besetzer:innen auf und verlassen das Areal. 

Ein Mann mit Hut stellt Kerzen in Einmachgläser und zündet sie mit Streichhölzern an.  © Heinz Riedler, Wien Museum.
Die Stadt schaltet den Besetzer:innen den Strom ab. © Heinz Riedler, Wien Museum.

Alles vergeblich? Den Abriss des Schlachthofs können die Aktivist:innen zwar nicht verhindern, aber sie haben Bewegung in die Stadt gebracht. In den folgenden Jahren entstehen viele Projekte der Alternativkultur. Ein Teil der Besetzer:innen nimmt schließlich doch das Angebot der Stadt an und gründet auf dem kleineren Schlachthofgelände die „neue“ Arena. Bis heute finden in der Arena Partys und Konzerte für junge Menschen statt. Seit Sommer 2023 ist die Arena allerdings wieder in Gefahr. Ganz in der Nähe wurden in den letzten Jahren Wohnhäuser gebaut. Die Bewohner:innen beschweren sich über den Lärm. Erste Veranstaltungen mussten bereits abgesagt werden. Der 1976 erkämpfte Freiraum droht wieder zu schrumpfen.

In der Nachbarschaft der „neuen“ Arena wurden in den letzten Jahren neue Wohnhäuser gebaut. © Q-Tower Arena, Funke, Wikimedia, CC-BY-SA-4.0.
Zeitstrahl 1976 © wasbishergeschah.at

Weiterführend:

Martina Nußbaumer, Werner Michael Schwarz (Hg.), Besetzt. Kampf um Freiräume seit den 70ern, Wien 2012.