Ein Schiff erreicht die Küste und steht in den Wellen. Menschen mit Rudern und Seilen halten das Boot stabil, um die Passagiere aussteigen zu lassen. Am Strand befinden sich weitere Menschen. Am Horizont befinden sich auf dem Meer drei Segelboote mit mehreren Masten. Ein kleines indisches Boot nähert sich den viel größeren Segelbooten.  © Flickr.

Ein Streik der indischen Boots­leute

macht Kolonial­herren ratlos

Vor fast 200 Jahren wehren sich indische Bootsleute in Madras gegen die Ausbeutung der britischen Kolonialmacht: Sie wissen, dass es ohne ihre Hilfe kein Europäer an Land schafft – und beginnen einen erfolgreichen Streik. 

24. Juni 1828 in Indien: Vor der Küste der Stadt Madras (heute Chennai) geht ein großes britisches Schiff vor Anker. An Bord sind 300 Soldaten. Sie sollen dabei helfen, die britische Kolonialmacht zu sichern und auszubauen. 

Doch das Ufer ist so flach, dass große europäische Schiffe nicht bis zum Strand fahren können. Die Soldaten warten darauf, dass die einheimischen Bewohner:innen sie abholen und an Land bringen. Aber die Hilfe kommt nicht: Die indischen Bootsleute streiken.

Angewiesen auf die Einheimischen

Die britische Ostindienkompanie treibt seit 1600 Handel im Auftrag der Krone. Schließlich kontrolliert die Handelsgesellschaft große Teile Südasiens.

Dafür braucht sie das Wissen, den Besitz und die Arbeitskraft der Einheimischen – und sie beutet das alles schamlos aus.

Als riesige Seemacht baut das British Empire seinen Einfluss in Übersee aus und sichert sich Gewinne durch koloniale Ausbeutung. © Picryl, Schiffe der britischen Ostindienkompanie in Deptford, 1660.

Schon seit der Gründung von Madras im Jahr 1639 zahlt die britische Handelskompanie indische Bootsmänner dafür, dass sie Menschen und Waren sicher an den Strand bringen. Die Bootsmänner verwenden flache und wendige Masula-Boote. Sie brauchen viel Kraft, um die kleinen Boote durch die hohen Wellen zu steuern. Noch wichtiger: Sie können das nur, weil sie große Erfahrung haben. Die Bootsmänner leben in einer kleinen Gemeinschaft zusammen. Von klein auf lernen sie, Boote zu bauen, zu reparieren, zu rudern und zu lenken. Dieses Wissen behalten sie für sich und verraten es nicht an die Kolonialherren.

Die Briten zahlen aber schlecht. Schließlich haben die Bootsleute genug: Sie weigern sich die Soldaten an Land zu bringen. Sie wollen mehr Geld.

Die Briten versuchen, den Streik zu brechen. Sie drohen mit der Polizei und mit Geldstrafen. Damit erreichen sie aber nichts: Die Einheimischen wissen, dass die Handelsgesellschaft sie braucht. Und sie behalten recht damit. Sie beenden ihren Streik erst, als die Briten nachgeben und ihnen mehr Lohn zahlen.

Über 250 Jahre lang schafft es ohne die indischen Bootsmänner niemand an die Küste von Madras. Die können sich daher immer wieder gegen die britische Kolonialmacht durchsetzen. Erst als Ende des 19. Jahrhunderts in Madras ein neuer Hafen angelegt wird, verlieren die indischen Bootsleute ihr Druckmittel. Die Briten kommen nun auch ohne die Fähigkeiten von einheimischen Spezialisten aus, wenn sie an Land wollen.


Julia Schranz

© wasbishergeschah.at