Die Postkarte in schwarz-weiß zeigt ein Schloss mit hellen Außenmauern und Reihen kleiner dunkler Fenster. An den Ecken befinden sich kleine Türmchen. Auf einer Seite hat das Schloss einen großen Turm mit Uhr. Vor dem Schloss steht ein Mann mit einem Hund auf einem Feld. © Wikimedia, Schloss Hartheim, 1924

Schweigen und Wider­stand: 

„Eutha­nasie“-Morde mitten im Ort

Das NS-Regime tötet über 30.000 Menschen in Schloss Hartheim. Die Menschen im Dorf wissen davon – doch fast alle schweigen.

Hartheim in Oberösterreich zur NS-Zeit: Ignaz Schumann wohnt mit seiner Familie auf einem Bauernhof direkt neben dem Schloss. Er beobachtet die Busse, die dort mehrere Male am Tag neue Opfer abliefern. 

Wie vielen anderen im Dorf macht ihm der schwarze Rauch zu schaffen, der aus dem großen Schornstein aufsteigt und nach verbranntem Fleisch stinkt. Mitten auf der Straße findet er Knochenreste, die von abfahrenden Transportern gefallen sind.

Schließlich beruft der Büroleiter der Tötungsanstalt eine Versammlung im Dorfgasthaus ein. Er ist dafür zuständig, dass der Massenmord im Schloss reibungslos abläuft. Er behauptet, dass der Gestank aus den Schornsteinen einen harmlosen Grund hat. Und er droht: Wer etwas anderes sagt, kommt nach Mauthausen. Die meisten im Dorf schauen also lieber weg.

Mehrmals täglich bringen Busse Menschen zum Schloss. Dort werden sie ermordet. © Wikimedia, Bus vor der NS-Tötungsanstalt Hartheim, um 1940, CC-BY-SA-3.0-migrated-with-disclaimers

Das Schweigen brechen

Ignaz Schuhmann macht dabei nicht mit. Seine Familie ist christlichsozial eingestellt und lehnt den Nationalsozialismus ab. Schuhmann beschließt ein Zeichen zu setzen. Er schreibt an die Schlossmauer: „Österreicher! Hitler hat den Krieg begonnen, Hitlers Sturz wird ihn beenden!“ Später nimmt er Kontakt mit dem Sozialdemokraten Leopold Hilgarth auf. Der achtfache Vater war schon 1936 im politischen Widerstand aktiv – damals gegen das austrofaschistische Regime. Die beiden treiben Papier auf, drucken Flugzettel und verteilen sie in den umliegenden Städten. Auch Schuhmanns Bruder Karl schließt sich der Gruppe an.

Doch die Geheime Staatspolizei der Nazis kommt ihnen bald auf die Spur. Vier Männer kommen zu Leopold Hilgarth nach Hause und nehmen ihn fest. Sein Sohn Walter erinnert sich genau: „Ich weiß noch, dass Mutter mit diesen Leuten geschrien hat. Dass sie sich in den Weg stellte und rief: ,Lasst’s ma den Vater meiner Kinder!‘“ Theresia Hilgarth ist damals schwanger. Sie fleht vergeblich: Ihr Mann und Ignaz Schuhmann werden zum Tod verurteilt und im Jänner 1945 hingerichtet. Karl Schuhmann bekommt zehn Jahre schweren Kerker.

Und wieder: Schweigen

Wenige Monate später endet der Krieg. Karl Schuhmann wird freigelassen – in Hartheim schweigen die Bewohner:innen aber weiter über den Mord an tausenden Menschen. Wenn Angehörige von Opfern den Ort besuchen, finden sie keine Gedenkstätte. Das Schloss dient nun als Wohnhaus. Nur die überlebenden Widerstandskämpfer und ihre Nachkommen stören das Vergessen. Die Dorfgemeinschaft grenzt sie daher aus. Walter Hilgarth muss sich anhören, dass er der Sohn eines Kriegsverbrechers ist. Und Karl Schuhmann wird vorgeworfen, dass er den Soldaten an der Front in den Rücken gefallen ist. 

Erst in den 1990er-Jahren kann ein Verein erreichen, dass Schloss Hartheim ein Ort der offenen Auseinandersetzung mit den „Euthanasie“-Morden wird. 2003 eröffnet eine Lern- und Gedenkstätte. Seither erinnert ein Denkmal auch an die hingerichteten Widerstandskämpfer Ignaz Schuhmann und Leopold Hilgarth. Für die meisten Dorfbewohner:innen bleibt die Gedenkstätte aber bis heute ein Fremdkörper.


Victoria Meindlhumer

Der Beitrag wurde im Rahmen eines Seminars im Masterstudium Zeitgeschichte und Medien an der Universität Wien erarbeitet.  

Zeitstrahl 1938 © wasbishergeschah.at

Weiterführend:

Brigitte Kepplinger/Österreichisches Landesarchiv (Hg.): Tötungsanstalt Hartheim, Linz 2013.

Tom Matzek, Das Mordschloss: Auf den Spuren von NS-Verbrechen in Schloss Hartheim, Wien 2002.