Die Kleidung hat einen langen Weg hinter sich. Hilfsorganisationen in Europa und Nordamerika sammeln gespendete Altkleidung. Die bieten sie zunächst in ihren Läden an. Für die meisten Sachen finden sie aber keine Abnehmer:innen. Daher verkaufen die Hilfsorganisationen den größten Teil des Gewands schließlich an Handelsfirmen, die es in afrikanische Staaten transportieren. Dort erwerben kleine Händler:innen die Importware. So bestückt auch Jacklyn ihren Verkaufsstand am Kantamanto-Markt.
Anfang der 1990er-Jahre lockert Ghana die Regeln für den Import. Freihandel gilt damals als der neue Weg zu mehr Wohlstand. Seither flutet gebrauchte Kleidung aus Europa die Märkte in Ghana. Vor allem die Menschen in den Städten wollen Kleidung, die als „westlich“ gilt. Leisten können sie sich aber meistens nur gebrauchte Kleidung. Die Importe ermöglichen es ihnen, an Modetrends teilzuhaben oder sich individuell anzuziehen. Frauen kaufen gerne Jeans – sehr zum Ärger von Konservativen, die einen Verfall der Moral befürchten. So wie das ihrer Meinung nach schon im Europa der 1950er-Jahre war. Junge Frauen wollen Freiheit und Hosen. Und Verkäufer:innen wie Jacklyn können vom Verkauf der Kleidung leben. Aus diesem Blickwinkel lässt sich eine positive Geschichte erzählen. Außerdem klingt die Weiterverwendung von Altkleidung grün und umweltfreundlich.
Das große Geschäft machen allerdings die Handelsfirmen aus Europa. Mit ihrer Gebrauchtkleidung verdrängen sie die afrikanische Produktion von Textilien. Die Altkleider haben außerdem oft so schlechte Qualität, dass Vieles schon kurz nach dem Import weggeworfen werden muss. Und auch vom Rest können die Händler:innen in Ghana nur einen Teil verkaufen. 40 Prozent der gebrauchten Kleidung wandert vom Kantamanto-Markt in den Müll. Die nutzlosen Textilien verschmutzen die Landschaft, landen in Flüssen und Lagunen. Sie werden ins Meer gespült und teils wieder an der Küste angeschwemmt. Textilfetzen überall.
Julian Stricker-Neumayer
Silvia Ruschak, „Wearing trousers makes me look smart“. Frauen und Kleidungsgeschichte im urbanen, postkolonialen Südghana, in: Historische Anthropologie 15/1 (2007), 103–117.