Zwischen Häusern ist in der Mitte ein Tor zu sehen. Die Pfeiler rechts und links sind grau. Der Teil in der Mitte ist aus braunem Holz. Auf der Straße gehen einige Menschen; im Vordergrund sind eine erwachsene Person und ein Kind mit einem Hund. Rechts befindet sich ein Holzhaus mit Dreiecksgiebel.  © Wien Museum, Lerchenfelder Linie 1848.

Bewaffnete Wachen vor den Toren Wiens:

Der Linien­wall

Wer nach Wien einreisen will, muss bis ins 19. Jahrhundert an der Stadtgrenze für mitgebrachte Waren Geld zahlen – und das schon für einen einzigen Laib Brot. Immer wieder suchen Wiener:innen nach Möglichkeiten, der Abgabe zu entgehen.

Wien, Lerchenfelder Linie, 12. Juli 1761: Wo sich heute die U-Bahn-Station Josefstädter Straße befindet, wartet eine Schlange von Menschen darauf nach Wien eingelassen zu werden. Um die Kontrolle des Linienamts an der Stadtgrenze zu passieren, müssen sie für mitgebrachte Waren eine Abgabe zahlen.

Die Beamten kontrollieren eine Frau, die einen Laib Brot dabeihat. Dafür hat sie beim Einkaufen bereits sechs Kreuzer gezahlt. Das ist eine stolze Summe, für die eine einfache Arbeiterin fast einen halben Tag arbeiten muss. Jetzt soll die Frau zusätzlich noch einen halben Kreuzer an die Grenzbeamten bezahlen, damit sie das Brot überhaupt nach Wien mitnehmen darf. Das will sie nicht: Die Frau flüchtet – und die Wachen verfolgen sie. Die Menschen in der Warteschlange bleiben nicht lange ruhig. Sie beschimpfen die verhassten Wachen und schmeißen mit Steinen auf sie. Doch sie haben keine Chance: Die Wachen haben einen Schießbefehl und schaffen es, die Menschen unter Kontrolle zu bringen. 

Schmuggel über die Stadtgrenze

Solche Szenen spielen sich bis ins 19. Jahrhundert häufig an den Grenzen der Städte ab. In Wien gibt es gleich zwei solcher Mauern mit Kontrollen: Erstens die Stadtmauer rund um den heutigen ersten Bezirk und zweitens den Linienwall. Dieser verläuft dort, wo heute am Gürtel die U6 verkehrt und viele Autos brausen. 1707 erbaut, soll er die Vorstädte vor Feinden schützen. Vor allem aber sollen auch die Menschen, die friedlich nach Wien wollen, für ihre Einreise bezahlen – und für die Waren, die sie mitbringen. Diese Abgaben sind für die Stadt Wien eine wichtige Einnahmequelle. Weil für alle Waren von außerhalb an der Stadtgrenze gezahlt werden muss, wird das Leben innerhalb des Linienwalls umso teurer. Die Wienerinnen und Wiener hassen die Grenze und versuchen sie zu umgehen. Sie wollen die „Blutsteuer des Proletariers“ nicht zahlen. Heimlich transportieren sie deshalb Lebensmittel und andere Produkte an den Grenzbeamten vorbei in die Stadt. Mit Erfolg: Die Behörden schätzen, dass im 19. Jahrhundert zwei Drittel des Kaffees geschmuggelt werden.

Den Linienwall vor Wien gibt es bis in die 1890er-Jahre. Ab 1894 wird er eingeebnet. © Wien Museum, Ferdinand von Staudenheim, spielendes Kind am Linienwall, 1890.

Erst ab 1894 wird der Linienwall abgerissen: Wien ist größer geworden und die einstigen Vororte sind nun Teil der Stadt. Trotzdem müssen die Menschen weiterhin eine Abgabe bezahlen, wenn sie Waren nach Wien mitbringen. Statt am Linienwall finden die Kontrollen nun an der neuen Stadtgrenze statt, die weiter außerhalb liegt. Dort gibt es zwar keine Mauer mehr, aber Linienämter zur Kontrolle. Wer etwa mit der Straßenbahn von Schwechat nach Simmering fährt und Waren dabeihat, muss aussteigen und zahlen. Schluss mit dieser Steuer ist erst nach dem Ende der Monarchie 1918. Manche der Linienämter dagegen stehen noch heute – zum Beispiel an der Linzer Straße oder der Triester Straße. Nur bezahlen muss man dort nicht mehr.

Anton Tantner

Zeitstrahl 1775 © wasbishergeschah.at

Weiterführend:

Edith Saurer, Straße, Schmuggel, Lottospiel. Materielle Kultur und Staat in Niederösterreich, Böhmen und Lombardo-Venetien im frühen 19. Jahrhundert, Göttingen 1989.