Wien, 1906: In den noblen Bezirken ist es total in, Flügelgestecke und ausgestopfte Vögelchen am Hut zu tragen. Eine Tierschützerin empört sich über „Gemüt und Herzen“ von Frauen, die „eine Vogelleiche täglich ruhig auf ihrem Kopf zur Schau“ tragen.
Zu den ältesten Vereinen Wiens zählt der Tierschutzverein. Seit 1846 engagiert er sich für ein Anliegen, das damals neu ist: Er will strengere Vorschriften gegen Tierquälerei. Eine der ersten Forderungen des Vereins: Schlachttiere sollen nicht mehr durch die Innenstadt getrieben werden. Auch den Umgang mit freilaufenden Hunden machen die Tierschützer:innen zum Thema. Außerdem betreibt der Verein einen Rettungswagen für Pferde, die im Straßenverkehr verunglückt sind. Im Winter stellt er Futterkästen für Vögel auf und 1897 errichtet er das erste Tierheim Wiens.
Die damaligen Geschlechterklischees verlangen, dass nur Männer in der Öffentlichkeit stehen sollen. Daher hat der Tierschutzverein immer einen Mann als Leiter. Doch große Teile der eigentlichen Arbeit erledigen Frauen: Als „Ehrenamtliche“ organisieren sie kulturelle Veranstaltungen und publizieren in der vereinseigenen Zeitung „Der Tierfreund“. Ende des 19. Jahrhunderts sind sie es, die eine Kampagne gegen Federn und ausgestopfte Vögel als Hutschmuck ins Leben rufen. Damals werden für diesen Zweck viele tausend Schwalben und Tauben getötet.
Eine Zeitung warnt 1904, dass es deshalb immer weniger Vögel gibt: „Still und öde“ ist es nun „in kleinen Städten und Märkten, wo bisher fast jedes Haus sein fröhlich zwitscherndes Schwalbenpaar besaß“. Aber auch exotische Tiere wie Kolibris und Papageien fallen der Luxusmode zum Opfer. Tierschützer:innen befürchten, dass manche Vogelarten bald aussterben werden. Sie rufen daher bürgerliche Frauen auf, keine Vögel und Federn am Hut zu tragen.
Allerdings spielen bei der Kampagne auch Vorurteile eine große Rolle. Man geht davon aus, dass Frauen unkritisch jeder Mode folgen, oberflächlich sind und sich leicht beeinflussen lassen. Das Tragen von Tierleichen sieht die Kampagne außerdem als Widerspruch dazu, wie eine Frau zu sein hat: nämlich sanftmütig und gütig.
Julia Brandstätter