Ein Soldat in Uniform, mit Gewehr und Helm auf dem Kopf. Auf der Uniform ist Schnee und um ihn ist es weiß.   © Wikimedia

Justizgewalt gegen Deserteure. 

Ein Bergbauer wird zum Tod verurteilt 

Ein kleiner Teil der Wehrmachtssoldaten entfernt sich im Zweiten Weltkrieg von der Armee. Sie wollen nicht (mehr) kämpfen und kein Teil der Vernichtungsmaschinerie sein. Sie desertieren. Darauf steht die Todesstrafe. 

Innsbruck im Oktober 1943: Ein Gericht verurteilt den 30-jährigen Bergbauern Josef Neuner zum Tod. Er hat nach einem Aufenthalt im Militärkrankenhaus einen Erholungsurlaub gemacht. Von dort will er nicht mehr an die Front im Norden Skandinaviens zurückkehren. Er versteckt sich in einer kleinen Hütte. Sein Stiefonkel, sein Vater und seine Stiefmutter unterstützen ihn dabei.
Im Urteil steht, dass Neuner „in schändlicher Weise auf den Zusammenbruch des Vaterlandes“ gewartet hat.

Josef Neuner versucht, bei seiner Familie Zuflucht zu finden.  © Wikimedia, Leo Wehrli, ETH Library.

Josef Neuner desertiert im Zuständigkeitsbereich des Wehrkreises XVIII. Heute sind das die Bundesländer Vorarlberg, Tirol, Salzburg und Kärnten, auch Norditalien und Teile von Slowenien zählen dazu. Neuner ist eine Ausnahme, denn im damaligen Reichsgau Tirol-Vorarlberg desertieren nur etwas mehr als ein Prozent der Soldaten. Insgesamt versuchen schätzungsweise 400.000 Soldaten der Wehrmacht, das sind ca. zwei Prozent, die „Fahnenflucht“. 

Todesstrafe auf Desertieren  

Die nationalsozialistische Justiz behandelt die Fahnenflucht als ein furchtbares Verbrechen. Deshalb bestraft sie die Deserteure mit dem Tod. Durch ihre Ermordung möchte man sie für immer aus der „deutschen Volksgemeinschaft“ ausschließen. Im Wehrkreis von Josef Neuner entscheiden sich die Gerichte aber oft für eine andere Verurteilung: Sie setzen die Strafen „auf Frontbewährung“ aus. Das heißt, die Soldaten müssen an besonders gefährliche Stellen an der Front einrücken. In vielen Fällen kommt das dem Todesurteil gleich. 

Aber die NS-Justiz bestraft nicht nur die Soldaten. Sie nimmt auch ihre Familien und die Unterstützenden ins Visier. Die Familie von Josef Neuner hat ihm ein Versteck organisiert und Lebensmittel gebracht. Sie werden zwar nicht zum Tod, aber zu jahrelangen Gefängnisstrafen verurteilt. 

Josef Neuner hat Glück im Unglück: Seine Todesstrafe wird schließlich doch noch in 15 Jahre Zuchthaus umgewandelt. Er überlebt den Nationalsozialismus eingesperrt in Bruchsal und im Lager IV Walchem. Mindestens 15.000 andere Deserteure lässt das NS-Regime dagegen hinrichten. 

Gleich nach Ende des Krieges beschließt die Republik Österreich 1945 das Opferfürsorgegesetz. Es hält fest, dass Widerstandskämpfer:innen und Verfolgte des Nationalsozialismus Anspruch auf Anerkennung und finanzielle Hilfe haben. Bei Deserteuren lehnen die Behörden die Anträge allerdings ab. Das NS-Regime hat Deserteure als Verräter behandelt, diese Einschätzung übernehmen die Gerichte der Republik. Zusätzlich werden die Deserteure auch von der Bevölkerung als Verräter angefeindet. So erhalten sie lange keine Anerkennung und auch keine Unterstützung. 
Zeitstrahl 1943 © wasbishergeschah.at