Das Bild zeigt Reihen von Zuschauer:innen beim Neujahrskonzert im großen Musikvereinssaal. Die Decke und die Logen sind mit goldenem Stuck und Malereien verziert. Im Hintergrund des Fotos befindet sich die Bühne mit den Musiker:innen. Von der Decke hängen sechs große Kronleuchter.  © Wikimedia, Michael Osmenda, Wiener Neujahrskonzert, 2013, CC-BY-2.0.

„Gesäuberte“ Musik:

Das Neujahrs­konzert im National­sozialismus

Das Neujahrskonzert gehört zum Österreich-Marketing wie die Kaiserin Sisi und das Wiener Schnitzel. Jedes Jahr hören Millionen Menschen weltweit das Konzert per Liveübertragung. Begonnen hat es allerdings als Propaganda der Nazis.

Wien, 1. Jänner 1942: In ihrem Konzert zum Jahreswechsel spielen die Philharmoniker ausschließlich Stücke von „Walzerkönig“ Johann Strauss. Das Publikum im Musikvereinssaal ist begeistert. Vor drei Jahren hat das Orchester diese „Tradition“ begonnen, aber erstmals wird das Konzert über alle Sender des „Großdeutschen Rundfunks“ ausgestrahlt. Denn es ist schon der dritte Kriegswinter und gute Stimmung dringend nötig. Von Wien aus soll die Nazi-Propaganda die „Volksgenossen“ unterhalten.

Das nationalsozialistische Regime setzt Kulturveranstaltungen gezielt für Propaganda ein. Eine besondere Rolle spielt dabei die Musik, die vom NS-Regime als die „deutscheste“ Kunst gefeiert wird. Die Walzer der Komponistenfamilie Strauss passen ideal ins Konzept: Sie haben einen künstlerischen Anspruch und zugleich machen die leichten Klänge gute Laune.

„Walzerseligkeit“, aber echt deutsch

Jazz und moderne Musik hält das Regime hingegen weder für deutsch noch für Kunst. Außerdem „säubert“ es alle Orchester von jüdischen Musiker:innen. Daher entlassen die Wiener Philharmoniker 1938 sofort nach dem „Anschluss“ ihre jüdischen Mitglieder. In diesem Orchester hat der Nationalsozialismus sowieso viele Sympathisanten. Ein Drittel der Philharmoniker gehört damals bereits der Nationalsozialistischen Partei an. Die Philharmoniker waren ein Aushängeschild der österreichischen Kulturpolitik, aber ihr Dirigent Clemens Krauss arbeitet auch schon vor 1938 eng mit Adolf Hitler zusammen. Joseph Goebbels ernennt ihn bereits 1935 zum „Reichskultursenat“.

Als „Sippenforscher“ herausfinden, dass Strauss jüdische Vorfahren hat, ist das Entsetzen der Nazis groß. „Ich verbiete es, das an die Öffentlichkeit zu bringen!“, notiert Goebbels in sein Tagebuch. Er lässt Dokumente fälschen, damit niemand von der teilweise jüdischen Herkunft des Komponisten erfahren kann.


Goebbels lässt Taufbücher fälschen, um zu vertuschen, dass Johann Strauss jüdische Vorfahren hat. © Wikimedia, Bundesarchiv, Bild 146-1968-101-20A, Heinrich Hoffmann, Joseph Goebbels, CC-BY-SA 3.0.

Auf diese Weise sichert er die Stücke von Strauss für die deutsche Propaganda. Als die Philharmoniker 1939 ihr Strauss-Powerplay zum Jahreswechsel beginnen, stellen sie die deutsche Herkunft des Komponisten in den Mittelpunkt. Die Nazi-Propaganda betont, dass die Stücke in Wiener Vorstadtkneipen entstanden sind und es sich daher um einen „Ausdruck des ostbayrischen Volksstammes“ handelt. Die Einnahmen ihres ersten Neujahrskonzerts spenden die Wiener Philharmoniker zur Gänze dem „Winterhilfswerk“, das ein Gefühl der Zusammengehörigkeit in der „Volksgemeinschaft“ stärken soll. Das Konzert wird ein großer Erfolg und von da an jedes Jahr am 1. Jänner wiederholt. Ab 1946 trägt es den Namen, unter dem es inzwischen weltweit bekannt ist: „Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker“.

 


Den Blog-Beitrag hat Antonia Weber im Rahmen eines Seminars an der Universität Wien im Master „Zeitgeschichte und digitale Medien“ recherchiert.

Zeitstrahl 1942 © wasbishergeschah.at