Eine der Näherinnen ist schließlich so verzweifelt, dass sie Stecknadeln schluckt, um sich das Leben zu nehmen. Das alles beobachtet die Arbeiterin Edith Poller – und erträgt es nicht. Sie beschwert sich bei den Vorgesetzten über die Misshandlungen. Doch die helfen nicht. Stattdessen drohen sie ihr mit der Einweisung ins KZ.
Während des Zweiten Weltkrieges müssen Zwangsarbeiter:innen für „Boss“ arbeiten. In der Fabrik werden sie von sadistischen Vorgesetzten schikaniert. Als die Zwangsarbeiterin Maria Klima Jahrzehnte später zu ihren Erfahrungen bei „Hugo Boss“ befragt wird, antwortet sie mit Gegenfragen: „Haben Sie jemals auf einem Bett geschlafen, auf das es geschneit hat? Wurden Sie jemals geschlagen, wenn Sie etwas zu essen vom Boden aufgehoben haben?“ Auch Hugo Ferdinand Boss weiß von der Misshandlung der Zwangsarbeiter:innen – und tut nichts dagegen.
Nach dem Krieg wird Hugo Ferdinand Boss als NS-Täter der Stufe „belastet“ eingestuft. Ein zweites Verfahren ordnet ihn aber nur mehr als „Mitläufer“ ein. Er kommt mit einer Geldstrafe davon. In den 1990ern lässt das Unternehmen zwar seine NS-Vergangenheit durch eine Historikerin erforschen. Doch als die Ergebnisse vorliegen, will „Hugo Boss“ sie nicht veröffentlichen. Erst 2011 kann ein Bericht mit der Zustimmung des Unternehmens erscheinen.
Anna Stärk
Roman Köster, Hugo Boss, 1924–1945. Die Geschichte einer Kleiderfabrik zwischen Weimarer Republik und „Drittem Reich“, München 2011.